Resilienz – die Fähigkeit, Krisen zu meistern – ist in einer globalen Krise wie dieser gefragt wie nie. Doch wie genau definiert sich Resilienz?
Maike Rönnau-Böse: Ich definiere Resilienz als die Fähigkeit, mit Krisen und Belastungen gut umgehen zu können. Im Kern bedeutet Resilienz: Ich kann Krisen und Belastungen bewältigen, fühle mich ihnen nicht hilflos ausgeliefert, sondern habe Strategien, um damit umzugehen. Leider wird Resilienz in der populärwissenschaftlichen Literatur oft so dargestellt, als hätten resiliente Menschen diese Superfähigkeit, sodass sie durch Krisen einfach hindurchmarschieren. So ist es aber nicht.

Wie ist es dann?
Maike Rönnau-Böse: Resilienz ist kein schneller, einfacher Prozess – Resilienz hat auch viel damit zu tun, dass man negative Gefühle aushalten kann. Angst, Trauer: Auch resiliente Menschen müssen da durch – aber sie haben Strategien an der Hand, sodass sie nicht darin versinken oder darin stecken bleiben. Nach einer Krise ist man auch nicht genauso wie davor – das ist ein weiteres Missverständnis von Resilienz. Wenn man Krisen durchlebt hat, verändert man sich. Man kann sich positiv verändern – aber man wird danach nicht genau in dem gleichen Zustand sein wie vorher. Resilienz ist also nichts, was mit einem Fingerschnippen erledigt ist – es gehört auch dazu, dass ich mich mit negativen Gefühlen auseinandersetze.

In der breiten Wahrnehmung kommt Resilienz als „Superpower“ daher, die man hat oder nicht. Ihre Arbeit zeigt aber, dass man zum widerstandsfähigen Menschen erzogen wird. Muss man dazu als Kind Krisen bewältigen?
Maike Rönnau-Böse: Nein, es geht nicht darum, dass man seinem Kind schwierige Situationen zumutet, damit es daran wachsen kann. Die Grundlage für Resilienz ist eine stabile Beziehung zu einer Bezugsperson, das sind im besten Fall die Eltern. Es gibt aber auch viele resiliente Kinder, die keine Eltern haben – es können auch Erzieher, Lehrer oder Menschen aus dem weiteren Bekanntenkreis sein.

Was muss dieser Mensch dem Kind entgegenbringen?
Maike Rönnau-Böse: Kinder brauchen eine Konstante, eine Person, die den Fähigkeiten des Kindes vertraut, es wertschätzt, so wie es ist. Egal, was das Kind ausgefressen hat – zu dieser Person kann es immer kommen und wird trotzdem geliebt.Selbstwirksamkeit ist ein wichtiger Resilienz-Faktor und der entsteht dadurch, dass mir jemand etwas zutraut und mich Dinge machen lässt. Wenn ich das nicht habe, kann ich das nicht von alleine entwickeln. Keiner kommt auf die Welt und denkt, ich bin ein Superman und kann alles. Wenn ein Kind erlebt, dass ihr oder ihm ständig alles abgenommen wird, dass es selbst nichts ausprobieren darf, erlebt es sich als jemand, der nichts alleine kann. Ein Kind muss Fehler machen dürfen – aber das bedeutet nicht, dass man seinem Kind Krisen zumuten muss. Im Gegenteil: Wenn es zu einer Krise kommt, dann geht man gemeinsam da durch.

Eine erste kleine Krise im Leben kann ja der Eintritt in die Kinderkrippe oder den Kindergarten sein. Ist das eine wichtige Hürde, wo Resilienz trainiert werden kann?
Maike Rönnau-Böse: Alle Übergänge im menschlichen Leben sind sensible Phasen. Da ist es besonders wichtig, als Bezugsperson da zu sein, den Kindern etwas zuzutrauen, offen über Gefühle zu sprechen – auch über die eigenen Gefühle. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder empathisch mit anderen umgehen, brauchen sie Vorbilder – Erwachsene neigen sehr dazu, Gefühle vor Kindern zu verbergen, zu sagen: „Es ist alles okay“ und man wischt sich noch schnell die Träne weg. Aber gerade kleine Kinder haben ein sehr feines Gespür für Gefühle, und daher ist es wichtig zu sagen: „Ja, das macht mich jetzt auch traurig und es fällt mir schwer, dass wir jetzt nicht mehr den ganzen Tag zusammen sind, aber du wirst viele tolle Erfahrungen im Kindergarten machen und viel Spaß haben. Trotzdem dürfen wir jetzt auch traurig sein.“

Wenn sich Menschen in der anhaltenden Coronakrise überfordert fühlen – wie kann man jetzt Resilienz üben?
Maike Rönnau-Böse: Was wir immer, in jedem Alter brauchen, ist ein Mensch, der uns wertschätzt! Das Gefühl: Ich bin für jemanden wichtig, jemand wertschätzt mich, genau so, wie ich bin – das brauchen wir alle zu jeder Zeit. Wenn ich das nicht habe, fehlt mir eine wesentliche Grundlage. Daher ist der Austausch mit anderen Menschen elementar. Dann geht es im Resilienz-Prozess darum, zu erkennen: Was für Fähigkeiten, welche Stärken habe ich und was ist mir in meinem Leben bisher wirklich gut gelungen? Durch welche schwierigen Situationen bin ich schon durchgekommen und wie habe ich das gemacht? Hier kann es hilfreich sein, jemanden zu haben, mit dem man all das gemeinsam reflektieren kann.

Was kann noch helfen?
Maike Rönnau-Böse: Wir neigen dazu, zuerst jene Dinge aufzuzählen, die nicht gut gegangen sind – da hilft es, mit einer zweiten Person zu reflektieren: Was habe ich richtig gut gemacht? Ich spreche nicht gern davon, Resilienz zu trainieren, sondern sage lieber: Wie kann ich mir die Fähigkeiten, die ich habe, bewusst machen? Wie kann ich wertschätzen, was ich habe, und wo liegen meine Grenzen? Und dazu gehört auch, sich bewusst zu machen, wo ich Hilfe und Unterstützung brauche – auch das ist eine Fähigkeit.

Wenn man einen Erste-Hilfe-Koffer für Resilienz packen möchte: Was gehört da hinein?
Maike Rönnau-Böse: In so einen Koffer gehört eine wichtige Bezugsperson – aber das müsste ein sehr großer Koffer sein (lacht). Sonst ist es das Bewusstmachen von Stärken und Fähigkeiten. Wenn ich mich gerade in einer totalen Krise befinde, brauche ich eine Person, die mit mir aushält, dass gerade eine schlechte Zeit ist. Die sagt: „Diese Zeit wird vorbeigehen und ich bin für dich da.“

Mehr zum Thema