Herr Bergthaler, Sie analysieren die Genome der Coronaviren in Österreich – warum?

Andreas Bergthaler: Wir verfolgen damit zwei Ziele: Wir versuchen einerseits zu verstehen, wie sich das Virus verändert, welche Mutationen es gibt und welche Folgen diese haben – das ist mit Blick auf die Entwicklung von Medikamenten oder Impfstoffen sehr relevant. Andererseits erlauben uns diese Mutationen auch einen Blick in die Vergangenheit: Wo kommt das Virus her? Wir können genetische Stammbäume bauen, die zurück nach Wuhan im Dezember letzten Jahres gehen. Wir versuchen zu verstehen, wie sich das Virus über die Zeit verändert – und dazu werden weltweit Unmengen an Daten generiert. Zurzeit haben wir weltweit schon 40.000 sequenzierte Virusgenome vorliegen, in Österreich sind es 600. So haben wir ein ganz gutes Bild davon, welche Arten des Coronavirus in Österreich zirkulieren.

Was haben Sie aus der Analyse der österreichischen Virenstämme gelernt?

Wir haben uns für die frühe Phase der Pandemie in Österreich interessiert, mit einem Fokus auf West-Österreich und die Rolle von den Tourismusorten für die Weitergabe des Virus in Europa. Im Cluster Tirol haben wir gesehen: Es gab parallele Einbringungen des Virus aus mehreren Ländern. Bestimmte europäische Stämme haben sich dort sehr breit gemacht, einzelne Fälle waren aber auch asiatischen Virenstämmen sehr ähnlich. Bei der Fall-Nachverfolgung hat sich zum Beispiel gezeigt, dass sich ein Infizierter im Iran angesteckt hatte. So können sich die Virus-Genetik und die epidemiologische Fallverfolgung sehr gut ergänzen.

Andreas Bergthaler, Virologe
Andreas Bergthaler, Virologe © CeMM/Franzi Kreis

Konnten Sie den Patienten 0 in Österreich ausfindig machen?

Diesen Patient 0 gibt es so wahrscheinlich nicht. Die Epidemiologen sprechen von „ko-primären“ Fällen: Das Virus ist mehrmals und wiederholt ins Land gebracht worden, auf unterschiedlichen Wegen. Wir haben Fälle sequenziert, die in der sehr frühen Phase der Pandemie in Innsbruck in einem Hotel aufgetreten sind – diese Viren hatten zum Beispiel nichts gemeinsam mit jenen Virenstämmen, die unmittelbar danach in Ischgl zirkuliert sind. Und im Beispiel des Falls aus dem Iran haben wir gesehen, dass das Virus danach nicht weiter übertragen wurde – für den Verlauf der Pandemie spielte diese Einbringung keine Rolle.

Eine aktuelle Antikörperstudie zeigt: 42 Prozent der Bewohner von Ischgl haben eine Covid-19-Infektion durchgemacht. Die Wintersportorte in Tirol gelten ja als Dreh- und Angelpunkt für die frühe Ausbreitung des Virus in Europa – haben Ihre Analysen das bestätigt?

Da muss man vorsichtig sein, genetische Analysen sind kein endgültiger Beweis. Was wir aber sehen: Gerade in den skandinavischen Ländern wie Island, Dänemark oder Schweden gab es in der Frühphase der Pandemie sehr viele Verbindungen zu Touristen, die aus Österreich zurückgekommen sind. In manchen Ländern haben bis zu 50 Prozent dieser frühen Fälle einen Link zu Österreich. Und wenn man sich anschaut, wie viel internationaler Tourismus da stattgefunden hat, wäre es überraschend, wenn diese Orte keine Rolle gespielt hätten.

Wie sich Mutationen auf der Welt verteilen
Wie sich Mutationen auf der Welt verteilen © Bobby Rajesh Malhotra / CeMM

Apropos Tourismus: Die Grenzen sind wieder offen, die Reiselust wächst: Was wird das für den weiteren Verlauf der Pandemie bedeuten?

Da kann ich nur spekulieren: Der strenge Lockdown hat dazu geführt, dass es kaum Einbringungen des Virus aus dem Ausland gegeben hat. Wir können aber davon ausgehen, dass, wenn der Grenzverkehr wieder zunimmt, wieder neue Varianten des Virus eingebracht werden können, die zu neuen Clustern führen. Das macht das Geschehen unübersichtlicher und es ist schwierig einzuschätzen wie stabil oder labil die jetzige Situation ist. Wenn wir nach Deutschland und die großen Ausbrüche dort schauen, sehen wir: Es kann sich alles rasch wieder ändern.

Zurück zu den Mutationen: Das Wort löst Ängste aus – ist eine Mutation immer mit einer Verschlimmerung der Lage verbunden?

Zunächst muss man wissen: SARS-CoV-2 zählt zu den RNA-Viren und diese Viren verändern sich ständig, das ist völlig normal. Im Durchschnitt sammelt dieses Coronavirus zwei Mutationen pro Monat in seinem Genom – damit verändert es sich langsamer als zum Beispiel das Grippevirus. Prinzipiell sind Mutationen das Ergebnis von fehlerhaften Kopiervorgängen. Darauf basiert unsere Evolution, so sind wir zum Homo Sapiens geworden. Wenn eine Mutation entsteht, die in einer bestimmten Umwelt einen Überlebensvorteil bietet, wird diese Mutation selektioniert und setzt sich durch. Auch Viren behalten jene Mutationen im Genom, die für sie von Vorteil sind. Wir müssen uns aber auch im Klaren darüber sein, dass das Virus ohne seinen Wirt keine Überlebenschance hat. Auf lange Sicht gesehen möchte ein Virus daher eine Ko-Existenz mit seinem Wirt eingehen, sodass idealerweise, wie zum Beispiel bei den Herpesviren, das Virus kaum einen Schaden beim Wirt verursacht und dementsprechend sein eigenes Überleben sichert. Das Gegenbeispiel wäre das Ebola-Virus, wo man Ausbrüche relativ rasch wieder eingrenzen konnte, weil das Virus so tödlich ist.

Also wäre der Evolutionsprozess eines jeden Virus eigentlich, besonders gut verträglich zu werden?

Es gibt verschiedene Stellschrauben: Die eine Möglichkeit ist, dass das Virus den Wirt möglichst wenig belastet. Eine andere Möglichkeit wäre, dass es das Virus schafft, sich möglichst schnell weiter zu übertragen - dann ist es egal, wenn der jetzige Wirt eine Woche später tot ist, wenn sich das Virus davor schon in zehn anderen Wirten fortgepflanzt hat. Eine Überlegung, speziell zum Coronavirus ist aber: Es gibt ja bereits vier humane Coronaviren, die zu harmlosen Erkältungen führen. Nun gibt es Anhaltspunkte, dass eines dieser Viren vor über hundert Jahren von Tieren auf den Menschen übergetreten ist und damals in der frühen Phase zu deutlich schweren Erkrankungen geführt hat. Überträgt man das nun auf SARS-CoV-2, könnte man vermuten, dass dieses Virus irgendwann – dafür bräuchte es Jahre, nicht Monate – mit uns koexistiert und uns nicht weiter aufregt, weil sich das Virus nicht zwingend zum Ziel setzt, dem Wirt zu schaden.

Nun sehen wir aber eine Mutation, D614G, die das Virus scheinbar ansteckender gemacht hat.

Diese Mutation ist zuerst wahrscheinlich in Shanghai aufgetreten, ist dann nach Deutschland gekommen und hat sich dann global mehr und mehr durchgesetzt. Eine Studie hat nun gezeigt, dass Viren mit dieser Mutation mehr der sogenannten Spike-Proteine an der Oberfläche haben und daher besser in unsere Zellen eindringen können. Es könnte sein, dass diese Mutation dem Virus einen Vorteil gebracht hat – es könnte aber auch sein, dass es reiner Zufall war, dass es dieser Virusstamm als erster geschafft hat, sich weiter auszubreiten. Auch in Österreich sehen wir die Mutation im überwiegenden Teil der Proben. Wir müssen uns eingestehen: Es ist relativ einfach, diese Mutationen zu katalogisieren und zu vergleichen, aber es ist deutlich schwieriger zu verstehen, was diese Mutation für das Virus funktionell bewirkt. Das benötigt Experimente im Labor, das muss man unter hohen Sicherheitsstufen machen und das ist nichts, was man in Tagen oder Wochen machen kann.

Sie sagen, das Virus mutiert ständig – was könnte denn noch passieren? Oder ist das Virus ob seines Siegeszugs um die ganze Welt nicht ohnehin schon sehr gut an seinen Wirt – den Menschen – angepasst?

Wir haben den Eindruck, dass das Virus schon erstaunlich gut an den Menschen adaptiert ist. Ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass das Virus aufgrund einer Mutation hochtödlich wird. Das ist nicht zu erwarten. Mutationen können aber dazu führen, dass die Immun-Antwort nicht mehr auf das Virus reagiert und wir dementsprechend das Virus auch nicht so schnell loswerden – doch auch das ist bei diesem Coronavirus eher unwahrscheinlich. Was dieses Virus besonders macht, ist, dass es dieses Zeitfenster gibt, in dem Menschen schon infiziert sind, aber noch keine Symptome spüren – und trotzdem schon ansteckend sind. Menschen können das Virus nach ein, zwei Tagen weitergeben, ohne dass sie selber merken, dass sie krank sind. Das macht es schwierig, die Infektionsketten zu unterbrechen. Und das ist der Grund, warum sich das Virus so erfolgreich fortgepflanzt hat – und nicht unbedingt, weil es so tolle genetische Tricks hat oder besonders bösartig ist.

Die ganze Welt forscht an einem Impfstoff: Könnten Mutationen dazu führen, dass die Impfung ins Leere geht, weil sich das Virus so verändert hat?

Die Wahrscheinlichkeit dafür ist relativ gering: Das Virus verändert sich eher langsam und eine Impfung hat auch nie nur ein einziges Ziel am Virus. Wir wissen von HIV oder auch von Krebs: Setzt man ein Medikament ein, dass nur auf eine bestimmte Zielstruktur einwirkt, dann ist es nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, dass sich genau dort eine Mutation bildet und das Medikament nicht mehr wirksam ist. Aber eine Impfung versucht mehrere Zielstrukturen anzugreifen. Das Virus müsste eine ganze Reihe zielgerichteter Mutationen gegen eine Impfung einbauen, das ist äußerst unwahrscheinlich.

Es wird also eine Impfung gegen Covid-19 geben?

Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir früher oder später mit mehr als einem Impfstoff dastehen, da viele Firmen Interesse daran haben. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir den Impfstoff schon nächstes Jahr haben werden.

Was sagen genetische Analysen über die tatsächliche Herkunft von SARS-CoV-2: Könnte es von Menschenhand gemacht sein?

Dass das Virus synthetisch im Labor produziert wurde, ist extremst unwahrscheinlich. Dazu gibt es auch schon gute Studien, die zeigen, dass dieses Virus Elemente enthält, die es in keinem anderen Corona-Virus gibt - das muss evolutionär entstanden sein.

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