Daniela (53) hat sich niemals darüber Gedanken gemacht, wie es sich anfühlen wird, wenn Hanna (18) nicht mehr zu Hause wohnt. Das war immer so weit weg. Da waren der erste Zahn, der erste Schritt, der erste Schultag, die vielen Elternsprechtage, die Zahnspange, Geburtstagsfeiern, Lernstress, Liebeskummer, Maturaball, die letzten Prüfungen – all das hat Daniela in den letzten 18 Jahren in Atem gehalten. Da war keine Zeit, um sich Gedanken über die Zukunft zu machen.

Letzten Herbst ist Hanna ausgezogen, nach Wien, um dort Jus zu studieren. „Erst Wochen danach habe ich langsam begriffen, wie sehr mich diese Veränderung überfordert. Es war so still, ich wusste mit der Situation nichts anzufangen, bin oft stundenlang in der Wohnung im Kreis gelaufen und fand mir nichts zu tun“, erzählt die 53-Jährige.

Obwohl, da ist ja auch noch Helmut, ihr Mann, 56, Software-Ingenieur und leidenschaftlicher Mountainbiker. Auf der Suche nach einem abendfüllenden Gesprächsthema ist Daniela dann aufgefallen, dass es da nichts gibt, worüber sie sich mit ihrem Mann unterhalten könnte. Außer über Hanna vielleicht. Aber da gibt es jetzt nicht mehr viel zu reden. Die ist nicht mehr da, lebt ihr eigenes Leben, ganz ohne elterliche Hilfe und Zuspruch.

Kinder kommen und gehen

Statistisch gesehen werden die meisten Ehen geschieden, wenn die Kinder kommen – und wenn die Kinder gehen. Paare, die nach dem Auszug ihrer Kinder aus dem Elternhaus in eine Krise schlittern, hat auch Psychotherapeutin Sabine Bösel oft auf ihrer Praxiscouch sitzen. Immer wieder reden dort die Väter über das Gefühl der Zurücksetzung: „Viele schlucken das, arrangieren sich mit der Situation und konzentrieren sich auf den Beruf oder suchen sich ein Hobby, während sich die Frau um die Kinder kümmert“, erzählt Bösel. Doch dann, wenn der Nachwuchs weg ist, will die Frau plötzlich wieder reden, mehr Kontakt haben, mehr Beziehung. „Ein Wunsch, der Männer oft nervt oder irritiert“, bemerkt Bösel in diesen Therapiesitzungen.

Sabine und Roland Bösel
Sabine und Roland Bösel © kk

Sich als Paar wiederzufinden, braucht einen Plan, den man am besten gemeinsam entwirft. Ein guter Anfang dafür ist, ein Blick in den Rückspiegel zu werfen, zurück in die Zeit, bevor die Kinder da waren. „Das, was man damals gerne gemacht hat, kann auch jetzt das sein, was ein Paar wieder zueinander führt“, empfiehlt Bösel. Doch das alles dauert Zeit und braucht Gespräche, „auch darüber, wie viel Zeit jeder für sich braucht“.

Die Vorteile im leeren Nest

Dass ein leeres Nest auch Vorteile hat, sieht die Therapeutin inzwischen auch an ihrem eigenen Leben. Als das dritte Kind, die Tochter, nach Ulm gezogen ist, um dort zu studieren, war da zuerst diese tiefe Traurigkeit. Doch die ist überwunden. Inzwischen kann sie die frei gewordene Zeit gemeinsam mit ihrem Mann, der ebenfalls als Therapeut arbeitet, genießen und auch nutzen. Vor allem die Spontaneität, die dieses Leben jetzt erlaubt, empfindet sie als Bereicherung: „Wir können nach der Arbeit auf ein Glas Wein oder ins Kino gehen, wenn wir es wollen, müssen nicht mehr jeden Abend kochen. Und wenn wir nach Hause kommen, finden wir es immer genau so vor, wie wir es verlassen haben – auch das ist schön an unserem Leben jetzt.“

Ein kinderloses Zuhause schafft aber auch Platz für neue Herausforderungen, an denen man wachsen kann. Oft sind es die Frauen, die dieses Potenzial erkennen, nach den Kindern wieder mehr in den Beruf einsteigen, eine Weiterbildung oder eine neue Ausbildung in Angriff nehmen. Wichtig sei dabei die Unterstützung des Partners. Doch die fehlt oft, erlebt die Therapeutin und meint damit Männer, die die beruflichen Ambitionen der Partnerin nicht ernst nehmen und als Hobby abtun. „Das ist der falsche Zugang.“

Kann man dieser Krise in der Beziehung auch vorbeugen? „Wenn man sich schon länger vor dem Auszug der Kinder gemeinsam eine Vision für die Zukunft entwickelt, auf die sich beide freuen, wirkt sich das positiv auf die Paarbeziehung aus“, sagt Bösel.

Stress mit "Bumerang-Kindern"

Doch wehe die erwachsenen Kinder kommen wieder zurück. Das bereitet vielen Stress, denn die sogenannten „Bumerang-Kinder“ schränken die Lebensqualität der Eltern signifikant ein, fanden britische Forscher in einer Studie heraus. Die „Rückkehrer“ verursachen oft Konflikte, erklären Marco Tosi von der London School of Economics und Emily Grundy von der University of Essex.

Laut ihrer Umfrage in 17 Ländern Europas, darunter auch Österreich, verlieren die Eltern durch den wieder einziehenden Nachwuchs an Kontrolle über ihr eigenes Leben, Autonomie, Vergnügen und die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Von den 99.000 befragten Eltern zwischen 50 und 75 Jahren hatten 1070, also rund ein Prozent, solche Bumerang-Kinder.

Die meisten kamen nach einer zerbrochenen Beziehung zurück oder weil sie ihren Arbeitsplatz verloren haben. Solche negativen Ereignisse verschlimmern die Situation zusätzlich.