Der Stricktrend war schon in den vergangenen Jahren stark, aber heuer ging es steil nach oben“, sagt Helga Wohlgemuth, die das größte und älteste Wollgeschäft Kärntens betreibt. Schon beim ersten Lockdown hätten offenbar viele ihre alte Wolle aufgearbeitet und dabei eine Leidenschaft neu entfacht. „Danach kamen viele ins Geschäft, die erzählt haben, dass sie 10 bis 20 Jahre nicht mehr gestrickt hätten und jetzt wieder damit anfangen“, erzählt Wohlgemuth. „Die hatten so eine Freude und sind dann zu 80 Prozent auch dabeigeblieben.“

Vor dem zweiten Lockdown und nahe der Weihnachtszeit sei jetzt auch noch die Ambition hinzugekommen, Geschenke für andere zu stricken. Dabei gehe es durchaus auch in Richtung Nachhaltigkeit. „Das Selbstgemachte, das Zeitinvestieren in Arbeit hat auch für die Jungen einen Wert – und jeder sagt, dass Stricken beruhigend wirkt, viele vergleichen es mit Yoga, weil man dabei so gut entspannen kann“, erzählt Wohlgemuth. Und ihre Kundschaft wird jünger: „Ins Geschäft kommen mittlerweile hauptsächlich 25- bis 40-Jährige“, sagt die Fachfrau, die über ihren Umsatz im Coronajahr nicht klagen kann: „Das Geschäft war bisher, trotz erstem Lockdown, nicht schlechter als im Vorjahr – und ich habe keinen Online-Handel“, sagt die Kärntnerin.

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Eine ähnliche Erfahrung hat auch Sigrid Pichler gemacht, die in Graz seit drei Jahren den Wollladen „Glücksfaden“ betreibt: „Wir hatten nach dem ersten Lockdown nur noch die halbe Öffnungszeit und bis jetzt trotzdem mehr Umsatz als im Vorjahr.“ Auch Pichler hat diesen Satz heuer ständig von Kunden gehört: „Ich war zu Hause und da habe ich wieder mit dem Stricken angefangen.“ Die Folge? „Die meisten erzählen, dass sie ohne Stricken gar nicht mehr sein können, weil es sie so beruhigt und entspannt.“ Und das sind keineswegs nur Einzelwahrnehmungen.

Die therapeutische Wirkung von Hobbys ist bekannt. Speziell die Begeisterung für Handarbeit lenkt von eigenen Schmerzen und Problemen ab, weckt Kreativität und Lebensgeister. Stricken ist dabei aber eine Nummer für sich, wie die englische Physiotherapeutin Betsan Corkhill herausfand. 2005 gründete sie das globale Netzwerk stitchlinks.com als Knotenpunkt für die Erforschung des gesundheitlichen Nutzens der Strickleidenschaft.
Wissenschaft und Stricken passen nämlich durchaus zusammen: „Um meinen Fuß bei Akademikern und Klinikern in die Tür zu bekommen, begann ich Stricken als bilaterale, rhythmische, psychosoziale Intervention zu bezeichnen, das weckte das Interesse“, erklärt Corkhill. Das S-Wort hat es nämlich in sich: Einerseits sind da diese ganz speziellen Handbewegungen, andererseits fallen die Haltung der Hände und die Art und Weise, wie Stricken Blickkontakt ermöglicht, auf. Hinzu kommt die Mobilität: Stricken kann man überall.

Anders gesagt: Zum Arbeitsablauf gehören komplexe und gut koordinierte Bewegungsmuster. Das bringt das Gehirn auf Trab. Gleichzeitig fördern die rhythmischen, automatischen Bewegungen die Entspannung. Und die spezielle Haltung der Hände bildet einen Puffer zur Welt, erweitert unsere Intimsphäre, gibt uns Schutz. Außerdem verbindet Stricken und lässt (auch unter Beachtung der Coronaregeln) Freundschaften entstehen. Zumal es zu den wenigen Aktivitäten zählt, die während einer Unterhaltung Blickkontakt erlauben.

Stress und Verspannungen lassen beim Stricken in jedem Fall nach: „Gestresste Menschen neigen instinktiv zu wiederholten, rhythmischen Bewegungsmustern und trösten sich damit selbst“, sagt Corkhill. „Der Eintritt in eine Art Meditationszustand scheint beim Stricken als natürliche Begleiterscheinung aufzutreten.“ Mit Farbe und Textur hochwertiger Strickgarne lässt sich die Stimmung zusätzlich heben.

Matthias Ferner ist Eigentümer der Wollgarnspinnerei Ferner in Tamsweg in Salzburg. Der Familienbetrieb „Ferner Wolle“ hat eine 114-jährige Tradition, beschäftigt 12 Mitarbeiter und verarbeitet etwa 800 bis 1000 Kilogramm Rohwolle pro Tag.
Matthias Ferner ist Eigentümer der Wollgarnspinnerei Ferner in Tamsweg in Salzburg. Der Familienbetrieb „Ferner Wolle“ hat eine 114-jährige Tradition, beschäftigt 12 Mitarbeiter und verarbeitet etwa 800 bis 1000 Kilogramm Rohwolle pro Tag. © (c) Michael Guggemos

Drei Fragen an  Matthias Ferner

  1. Sie betreiben die einzige Wollgarnspinnerei in Österreich, die neben Industriegarnen im großen Stil auch Handstrickgarne erzeugt. Was hat sich für Sie im Coronajahr geändert?
    MATTHIAS FERNER: Der Industriebereich ist uns durch Corona und die Auswirkungen auf die Modebranche um 60 bis 70 Prozent eingebrochen. Gleichzeitig wurde der Handstrickbereich gestärkt. Er fängt das Minus aus dem Industriebereich fast zur Gänze auf.

  2. Sie produzieren in Österreich, die Wolle kommt aber aus dem Ausland. Warum ist das so? Und ist ,Made in Austria‘ trotzdem ein Kaufargument?
    MATTHIAS FERNER: Die Kunden wollen, dass die Wolle sehr fein ist. Merinoschafe, die eine extrem feine Wolle liefern, sind aber eine besondere Züchtung, die bei unseren Klimaverhältnissen nicht so einfach im Freien gehalten werden kann. Wenn sie bei uns dem Regen ausgesetzt wären, würde sich ihr Fell so extrem mit Wasser ansaugen, dass ihre Beine das Gewicht nicht mehr tragen könnten. Dennoch ist unser Garn „Made in Austria“ und das ist für Kunden weltweit ein wichtiges Kaufargument. Wir beliefern die ganze Welt.

  3. Wie hat sich der Rohwollpreis in den letzten
    Jahren entwickelt? Und was ist die weichste und damit wohl auch teuerste Wolle?
    MATTHIAS FERNER: Die Preise sind rasant gestiegen. Das liegt daran, dass mehr Naturfaser gekauft wird und weniger Kunstfaser. Die Produktionskosten steigen im einstelligen Prozentbereich, bei der Rohwolle gibt es teilweise Steigerungen von 20 bis 30 Prozent. Die weichste Wolle, die der Allgemeinheit auch bekannt ist, kommt von der Kaschmirziege, da kostet das Kilo Rohmaterial um die 200 Euro. Das absolute Nonplusultra, das man allerdings auch kaum bekommen kann, ist Wolle von Vikunjas, das sind kleine Kamele. Hier liegt der Kilopreis für das Rohmaterial bei rund 2000 Euro.