Seit Wochen kochen in Österreich und international immer wieder Gerüchte hoch, dass weltweit extrem häufig verwendete ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptor-Antagonisten gegen Bluthochdruck, Herzinsuffizienz oder chronischen Nierenschäden bei Covid-19-Erkrankung einen schweren Verlauf begünstigen würden. Chinesische Wissenschafter widerlegen das in zwei aktuellen Studien. (Alle Corona-Informationen kompakt zusammengefasst)

Die Arbeiten sind wegen ihrer Brisanz noch in Preprint-Version vorhanden. Das bedeutet, dass sie noch nicht in einem Peer-Reviewed Journal publiziert worden sind. Yingxia Liu und die Co-Autoren vom Shenzen Key Laboratory für Pathogene und Immunologie und vom Dritten Volkskrankenhaus in Shenzen sowie anderen chinesischen Forschungseinrichtungen haben die Daten von 511 Covid-19-Patienten retrospektiv analysiert. Das erfolge in sechs Untergruppen nach Bluthochdruck und nach deren Therapie (ACE-Hemmer, Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonisten, Kalziumantagonisten, Betablocker und Thiazide; letzteres sind Entwässerungsmittel; Anm.). Die Ergebnisse waren eindeutig, wie die Autoren schreiben: "Unter den älteren (älter als 65 Jahre) Patienten mit Covid-19 und Bluthochdruck war das Risiko auf einen schweren Verlauf von Covid-19 signifikant verringert, wenn sie vor der Hospitalisierung Angiotensin-Rezeptor-Blocker oder keine Medikamente eingenommen hatten." Das Risiko war um rund zwei Drittel geringer. Der Effekt galt allerdings nur für die 46 Patienten im Alter von mehr als 65 Jahren.

Entzündungshemmend?

Einen entzündungshemmenden Effekt der Medikation mit Blutdruckmitteln bei Covid-19-Patienten beobachteten Guan Yang von der Abteilung für Geriatrie des Hubei Provinzspitals für Traditionelle Chinesische Medizin in Wuhan und von mehreren weiteren chinesischen Forschungseinrichtungen in einer anderen Studie, die noch nicht in einem Fachjournal publiziert worden ist. Sie stellten 126 Patienten mit Bluthochdruck (43 mit einer Therapie per ACE-Hemmer oder Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern, 83 ohne eine solche Therapie) einer Gruppe von 125 Gesunden Personen gegenüber. Die Kranken, die mit den Blutdruckmedikamenten behandelt wurden und Covid-19 Patienten wurden, wiesen im Blut signifikant weniger Werte an dem C-reaktiven Protein (CRP) auf. Das ist ein Entzündungsparameter. Zusätzlich zeigten sie während der Covid-19-Erkrankung geringere Procacitonin-Werte im Blut. Auch hier deuten erhöhte Konzentrationen auf eine Entzündung hin. 9,3 Prozent der mit dem Blutdruckmedikamenten Behandelten kamen in einen kritischen Zustand, hingegen 22,9 Prozent der Covid-19-Erkrankten ohne Therapie mit den Hypertoniemedikamenten. Die Sterberaten lagen bei 4,7 bzw. 13,3 Prozent. Beide Unterschiede waren aber statistisch nicht signifikant. Lungenentzündungen sind die gefährlichste Konsequenz einer SARS-CoV-2-Infektion.

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Mehrere wissenschaftliche Gesellschaften haben bereits darauf hingewiesen, dass an den Spekulationen rund um die Blutdruckmedikamente keine wissenschaftliche Evidenz ist. Auch der Rektor der MedUni Wien, Markus Müller, ein Klinischer Pharmakologe, hat sich gegenüber der APA ausgesprochen kritisch zu solchen Meldungen geäußert. Michael Freissmuth, Leiter des Zentrums für Physiologie und Pharmakologie der Meduni Wien, fügte hinzu: "Es gibt aber überhaupt keine wissenschaftliche Evidenz (Beleg; Anm.) dafür, dass da irgendetwas gefährlich sein könnte." Er, Freissmuth, müsse sich bemühen, in solchen Diskussionen die Contenance zu bewahren.