Eine „Extravaganza“ im „Grand Hotel Abgrund“ wollte der Auftakt des steirischen herbst bieten, eine exaltierte Soiree mit Kunst- und Revueprogramm im Grazer Congress als lässige Analyse gängiger Genusswelten. Es wurde dann aber mehr ein bunter Abend.

Oder: ein etwas angejahrter Performance-Jahrmarkt – inklusive Kartenlesen bei Cibelle Cavalli Bastos als übermotiviertem Unterhaltungs-Avatar in einer schwül glitzernden Talmi-Höhle. Ein leidlich originelles Drag-Spiel mit weiblicher (Selbst-)Überforderung, während auf der Prunkstiege Jule Flierl das Beethoven-Denkmal und ihr eigenes Gesicht zur Bühne dramatisch vorgetragener Arien machte und im ersten Stock Jakob Lena Knebl und Markus Pires Mata eine Riege Bodybuilder nebst Mobiliar zu farbenfrohen Tableaux vivants mit festgefrorenen Lächeln fügten. Eh lustig.

Bodybuilder im "Grand Hotel Abgrund"
Bodybuilder im "Grand Hotel Abgrund" © Ballguide/Tamara Mednitzer

Die längste Schlange bildete sich derweil vor drei Kabinen mit Vorhang und Empfangsdamen im Stewardessen-Look: Das junge Grazer Performancekollektiv Planetenparty Prinzip servierte als besten Beitrag dieser „Extravaganza“ einen verschmitzten „Instant Culture Express Service“, mit frei wählbaren Kompaktversionen von Nestroys „Der Talisman“, Goethes „Faust I“ oder Bernhards „Heldenplatz“ – bei letzterem hält Moritz Ostanek von oben herab mit grauem Haupt und verbissenem Blick Robert Schusters berühmte Österreich-Suada. Ein intimes Erlebnis, fokussiert auf die Sprache, ein Kontrastück zu instagramtauglichem Abdrücken bei gleichzeitigem Nichterleben.

Schräg vis a vis gab’s nochmals Bernhard: Chocolatier Josef Zotter hat die Mozartkugel überarbeitet, das Künstlerduo Elmgreen und Dragset verkauft nun „Echte Grazer Bernhardkugeln“ mit dem Konterfei des Dichters als Kunstedition (9 Stück um 50,50 Euro).

Süß statt hantig: Echte Grazer Bernhardkugeln
Süß statt hantig: Echte Grazer Bernhardkugeln © Ballguide/Tamara Mednitzer

Nach Gernot Wielands smarter Lecture Performance zum Zusammenhang von Kunst und Scham und einem „Körperkonzert“ von Erna Ómarsdóttir und Valdimar Jóhannsson beschloss eine Unterhaltungsband den Abend vor einem paar Dutzend Gästen, die sich die Zeit bis zum Kehraus um Mitternacht noch mit ein paar zögerlichen Tanzschritten vertrieben. Fazit: Ein bisschen mehr Extra hätte dieser Vaganza gut getan.

Der zweite herbst-Tag startete Freitag vormittags vor der Dreifaltigkeitskirche am Grazer Schloßbergplatz: Ein Mädchen (Ronja Mussbacher) schreit dem Publikum variierte Listen in zehn Punkten entgegen. Riccardo Giacconis Projekt „Merkblatt“ arbeitet sich am realen historischen Leitfaden „10 Gebote für Umsiedler“ ab, das an Optanten aus Südtirol bei ihrer Rückkehr überreicht wurde.

Die Rede ist vom „heimsiedeln“, vom „zurücksiedeln“, vom „entsiedeln“ und „einsiedeln“. Bei jeder Wiederholung werden die Aussagen verfremdet, politischer, gegenwärtiger. Beklemmende Momente, von Touristengruppen und dem ungeübten herbst-Publikum sträflich ignoriert.