Welche Rolle spielt Kunst in unserer Gesellschaft? Dass der steirische herbst diese Frage in aller Radikalität zu stellen bereit ist, zeigte sich bereits zur Eröffnung. Könnte es sein, dass Kunst nur mehr ein Instrument eines europäischen Hedonismus ist, mit dem sich der Bewohner des „Grand Hotels Abgrund“ von den ausgesperrten „Barbaren“ abgrenzt? Ist Kunst Mittel der Distinktion, längst eingemeindet in eine Idee vom „besseren“, „überlegenen“ Europa?

Der blaue Himmel über dem Grazer Landhaushof passte gar nicht zu solch düsteren Überlegungen, die Ekaterina Degots gelungene Eröffnungsrede nahelegte. Wobei sie anfangs ironischerweise minutenlang Dank an die offizielle Politik und Sponsoren spendete.

Inmitten der prächtigen Renaissance-Architektur lud man zum Auftakt des herbsts, der unter dem Titel „Grand Hotel Abgrund“ die „Diktatur des Genießens in Zeiten der Katastrophe“ zum Generalthema macht. Der Schauplatz war gut gewählt: Hier hatte der Politiker Hanns Koren die Rede zum ersten herbst gehalten – anno 1968, im Jahr der Flüchtlingskrise nach dem Prager Frühling.


Dass sich Europa über seinen Hedonismus definiert, ist für die Intendantin logischerweise fragwürdig. Zumal Europa als „Ort der Lüste, als Grand Hotel“ am Abgrund nur aus der Distanz betrachtet werden könne, von außen, aus der Sicht der Ausgesperrten, „die keinen Zutritt zu unseren Vergnügungen, unseren Festschmausen, unseren Kunstgenüssen haben“.

Zur Untermauerung der Gesellschaftstheorie wurde performt. Zorka Wollnys „Oratorium“ war ein unterhaltsames Bullshit-Bingo im Brustton der Selbstergriffenheit. Bis ein Wutbürger die unter dem Pathos steckende Mischung aus Ehre, Freiheit, Vaterland kenntlich machte. Im Anschluss zog man in den Congress, gleichsam ins Innere des Hotels. Über die dortige Extravaganza morgen mehr.