Darf ich Ihnen etwas verraten?“ – so oder so ähnlich wird in den Grazer Parks angebandelt. Die kontaktfreudigen Parkbesucher gehören zu den 40 Akteurinnen und Akteuren, die Tino Sehgal für den steirischen herbst engagiert hat. Für ein Projekt, für das Sehgal den Begriff „Situation“ gefunden hat: eine soziale Skulptur, die die Akteure mit Passanten gemeinsam kreieren.

Sehgals Menschen-Installationen machen seit Jahren Furore in der internationalen Kunstwelt. Seine Spielerinnen und Spieler traten bislang fast ausschließlich in Museen in Aktion mit den Besuchern. Von den „Situationen“, die Sehgal und seine Komplizen konstruieren gibt es keine Fotos, die Live-Situationen sollen nur für sich stehen und nichts darüber hinaus repräsentieren. Nach einem eher halböffentlichen Projekt in England ist die Graz-Situation „Sonnenauf- bis Sonnenuntergang“ nun die erste Sehgals im öffentlichen Raum, wie er bei einem Pressefrühstück zur herbst-Eröffnung erzählte.

Dass es sich bei den Schauplätzen Augarten und Stadtpark um politisch umstrittene Räume handelt, ist dabei eher Zufall. Bei der Ortssuche hat sich der deutsche Künstler für das Setting, nicht für kommunalpolitische Hintergründe interessiert.

Nun wurde die Augartenbucht zur herbst-Bühne. Die Akteure vollführen dezente Gruppenchoreografien, kauern sich alle gleichzeitig auf den Boden, manche Spieler halten sich umschlungen wie Liebende usw. Und sie sprechen Passanten an, erzählen von neuen Freundinnen, vom Geruch der Heimat, vom Verhältnis, das ihre Eltern zueinander haben. Geschichten, die den Zuhörer unweigerlich zu seinem eigenen Leben zurückführen. Sehgals Kunst besteht darin, solche Instant-Treffen zu gestalten. Die Spieler sind exzellent darauf vorbereitet, Intimität und Distanz auszutarieren und den kurzen Momenten Bedeutung zu verleihen.

Der Akt des Erzählens dürfte eine fundamentale Rolle für das menschliche Bewusstsein spielen. Was passierte mit einer Gesellschaft, in der man Fremden von sich erzählt? Wie sähe ein mit solchen Selbstvergewisserungen und Kommunikation angefüllter Alltag aus? Das utopische Moment der Aktion ist beeindruckend. Auch weil sie nur aus Gegenwart besteht und ausschließlich in der Erinnerung der Beteiligten fortlebt.

Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Donnerstag und Sonntag in der Augartenbucht. Freitag und Samstag im Stadtpark (zwischen Brunnen und Passamtswiese).