Die Zeit rast, nur zu Weihnachten steht sie still. Zumindest im kindlichen Universum, wenn man nichts mehr herbeisehnt als die Landung des Christkinds. Diese geballten Anstrengungen – der Advent mit Nikolaus, Krampus, 24 Türchen und vier Kerzen – hat man diese einmal hinter sich gebracht, folgen die letzten paar Stunden des endlosen Wartens. Der Tag beginnt früh, weil man schon in der Nacht wach lag und im Geiste den Wunschzettel fiebrig durchdeklinierte. Was mag es wohl bringen, das Christkind? Es folgt ein Vormittag der sich steigernden Unruhe, der in einem hektischen Mittagessen gipfelt. Danach meinen die Eltern, es habe oberste Priorität, dass das Kind an die frische Luft kommt. Für den Nachwuchs ist es durchaus enttäuschend, dass Mama und Papa so gar keine Achtsamkeit für die hohe Kunst des Wartens aufbringen können. Das Christkind ist voll beschäftigt und die Eltern machen Stress. Die (kleine) Welt steht kopf.

Am Ende dieses turbulenten Tages spiegelt sich all die Anstrengung in den rotbäckigen, verschwitzten, aufgeregten Kindergesichtern wider. Diese Blicke, dieses Staunen ist zeitlos, während die Kulisse einem ständigen Wandel unterliegt. Von der Raufasertapete zur minimalistisch weißen Wand, vom Eiche-hell-Regal vom Tischler im Ort zu Billy von Ikea. Unverändert bleibt das Setting, das alle Jahre wieder in seiner Bildgewalt festgehalten wird. Und nicht selten Jahre später mit viel Schmunzeln und Augenzwinkern kommentiert wird.

Mit den Fotos kommen die Erinnerungen. Und sie kommen pünktlich: zu Weihnachten. Bevor man hier ins Detail geht, muss man sich der Exklusivität der Fotografie früherer Tage bewusst werden. Denn die Anzahl der Möglichkeiten war zumeist auf 24 wohlausgewählte Momente limitiert. Jedes Bild sollte im besten Fall ein Treffer sein. Im Gegensatz zu heute, wo man schier endlos auf den Auslöser drücken kann. Erstaunlicherweise sind die Eckpunkte des Heiligen Abends damals wie heute gleich geblieben. Eine kleine Auswahl:

Der Baum: Jedes Jahr ist er noch schöner und wenn nicht, dann hat er ganz bestimmt Charakter oder eine abenteuerliche Geschichte. Wenn alle Stricke reißen und nichts davon zutrifft, kommt das Lametta in der Not.

Die Kleidung: Man könnte hier endlose Legenden stricken – oder auch Wollpullover oder Wollhosen oder Wollhauben. Jahre später kann man sich zwar noch immer an das Kratzen auf der Haut erinnern, aber man denkt in Zeiten von Fast Fashion gerne an das selbst gemachte Unikat zurück. Mit dem sogar noch Geschwister sowie nahe und ab und zu auch weniger nahe Verwandte noch ihre Freude hatten. „Auftragen“, im positiven Sinne.

Die Geschwister: Auch wenn man sich an 364 Tagen im Jahr nicht nur rhetorisch misst, ist man doch an diesem einen Tag zur Friedenspfeife bereit. Nicht uneigennützig: Man will doch nicht durch schlechtes Konfliktmanagement beim Christkind vorsprechen müssen.

Die Kulinarik: Zwischen Karpfenkonflikt, belegten Brötchen, und fettigem Fondue – das Weihnachtsmenü ist ein besonders trendscheues Exemplar. Daran wird nicht einmal Generationen später gerüttelt. Es gibt nur: Gans oder gar nicht.

Das Singen und Musizieren: Da gibt’s was auf die Ohren, denn ob Talent oder nicht, unter dem Baum wird angestimmt. Währenddessen üben sich Groß und Klein mit dezenten Seitenblicken in der Interpretation der verpackten Weihnachtsgeschenke – und vergessen dabei nicht selten aufs Singen.

Die Bescherung: Das Glöckchen hat geklingelt, der Weihnachtsbaum wirft bereits erste Nadeln und die Großwetterlage entspannt sich, während sich das Geschenkpapier in Bergen auftürmt. Jedes Jahr aufs Neue Mutters Versuch, das gebrauchte Papier fürs kommende Fest zu sammeln. Eh aussichtslos.

Die Logik/Unlogik von Weihnachten: Warum hat prinzipiell einer der Erwachsenen kurz vor dem Läuten des Glöckchens immer etwas Dringendes zu erledigen? Zweitens: Warum musste man sich nach der Bescherung immer noch zusätzlich bei Oma bedanken, wo doch das Christkind die Geschenke bringt?