Von Armin Wolf wurden Sie in der Laudatio zu Ihrem Concordia-Preis als „harmoniebedürftiger Mensch“ beschrieben. Wie passt das mit ihrer Aufgabe als Redakteurssprecher zusammen, wo mahnen, streiten und Kritik zum Profil gehört?
DIETER BORNEMANN: Da muss man zwischen dem Privatmenschen und dem Beruf trennen. Privat ist mir Streit zuwider, beruflich ist mir das relativ egal. Meine Funktion verlangt es, in Diskussion zu gehen und mit den Chefs zu streiten. Mir ist allerdings wichtig, dass das auf Augenhöhe passiert, nicht untergriffig ist und nicht auf eine persönliche Ebene geht. Menschen, mit denen man einen Konflikt hat, soll man trotzdem am nächsten Tag auf der Straße treffen können, ohne dass man die Straßenseite wechseln muss.

Sie sind Wirtschaftsredakteur und moderieren „Eco“, daneben haben Sie die Funktion im Redakteursrat. Wie schwierig ist es, diese zwei Rollen zu koordinieren?
Ich versuche das klar zu trennen: Als Journalist mache ich keine politischen Beiträge, weil ich weiß, dass ich von vielen in der Politik auch als Player wahrgenommen werde. Ich will meine beiden Funktionen nicht miteinander vermischen: Auf der einen Seite habe ich die Funktion als Sprecher der ORF-Journalistinnen und Journalisten – da muss ich auch häufig Kritik an der Politik üben. Auf der anderen Seite bin ich Teil der ZiB-Redaktion und Beitragsgestalter. Das ist auch wichtig, um mitzukriegen, wo der Schuh drückt und was die akuten Probleme für die Redaktion sind. Im Gegensatz zum Zentralbetriebsrat sind Redakteursvertreter nicht freigestellt und das ist auch gut so. Aber natürlich braucht diese Funktion sehr viel Zeit und das ist jeden Tag ein Kampf: Bin ich jetzt für die Wirtschaftsredaktion tätig oder mache ich meine Arbeit als Redakteursvertreter? Irgendwo brennt immer der Hut, und es gibt etwas, um das ich mich als Redakteursvertreter kümmern muss. Das geht auch sehr stark in die Freizeit hinein. Aber so ist das halt, wenn man diese Funktion annimmt.

Wird es einem manchmal zu viel?
Mir weniger als meiner Frau, fürchte ich (lacht). Meine Frau leidet schon darunter, wenn der ORF etwa jetzt in unserem Urlaub sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, weil eben die Bestellung für die nächste Generaldirektion vor der Tür steht und viele Anfragen an den Redakteursrat kommen.

Sie haben vorhin die politische Einflussnahme erwähnt. Wie hat sich der Charakter des Versuchs der politischen Einflussnahme verändert?
Früher war es so, wenn Journalisten etwas wissen wollen, haben Sie bei den Pressesprechern der Ministerien oder der Parteien angerufen. Jeder Minister hatte ein bis zwei Pressesprecher und die waren Ansprechpartner für die Journalisten. Mittlerweile hat sich das zum Teil schon umgedreht: Im Bundeskanzleramt arbeiten an die 60 Leute, ausschließlich in der Pressebetreuung, die schauen, dass es schöne Fotos vom Bundeskanzler gibt, die Social-Media-Beiträge verfassen oder Presseaussendungen. Das geht sogar so weit, dass dort genau überlegt wird, wann welche Themen in welchen Redaktionen platziert werden sollen. Während bei den politischen Parteien und den Ministerien die Zahl der PR-Mitarbeiter deutlich gewachsen ist, werden die Redaktionen fast aller heimischen Medien immer kleiner.

Was heißt das in der Praxis?
Viele Redaktionen sind sogar dankbar, wenn sie Vorschläge und Informationen für Beiträge bekommen, bei denen kaum mehr etwas recherchiert werden muss. Solche Geschichten werden dann ins Blatt gerückt, online gestellt oder auf Sendung gebracht – und zwar weil in der Redaktion zu wenig Journalistinnen oder Journalisten sind, die genügend Zeit haben, selbst Inhalte zu recherchieren. Es ist eine große Gefahr für den Qualitäts-Journalismus, dass in den vergangenen Jahren die Redaktionen dramatisch zusammengeschrumpft sind, während die PR-Stellen und Social-Media-Leute in den Parteien und Ministerien dramatisch mehr geworden sind.

Mit welchen Gedanken und Emotionen verfolgen Sie die ORF-Wahl?
Als Redakteursvertreter warten wir einmal ab, wen wir als Vorgesetzte bekommen. Diese Entscheidung trifft der Stiftungsrat, der vor allem von politisch zuordenbaren Personen besetzt ist. Die treffen dann auch in aller Regel politische Entscheidungen und es geht eher nicht darum, wer der beste Mann oder die beste Frau für das Unternehmen ist. Hätten Sie daran Interesse, dann wäre schon vor Monaten eine Personalfindungskommission zusammengestellt worden, die sich auf die Suche nach den besten Köpfen für den ORF gemacht hätte. Und zwar nicht nur in Österreich, sondern auch in der Schweiz und in Deutschland. Da das nicht passiert ist, schließe ich daraus, es gibt daran wenig Interesse daran. Aber egal, wie die Bestellung am Dienstag ausgeht, man soll nicht glauben, nur weil jemand ORF-Generaldirektor ist, wird das Unternehmen am nächsten Tag inhaltlich anders aufgestellt. Zu glauben, der Generaldirektor bestimmt jeden Tag, was in der „Zeit im Bild 1“ zu sehen ist, ist ein Irrtum. Weil es dort Redaktionen und redaktionelle Entscheidungskriterien gibt und wir ohne Zurufe entscheiden, welche Inhalte wir auf Sendungen bringen. In den vergangenen Jahren sind die ORF-Redaktionen deutlich widerständiger und selbstbewusster geworden. Und sie wehren sich gegen jeden Versuch, Einfluss auf redaktionelle Arbeit zu nehmen - egal ob das von innen oder von außen kommt. Martin Thür, Lou Lorenz-Dittlacher oder Armin Wolf und viele andere TV-Kolleginnen und Kollegen lassen sich sicher nicht davon beeindrucken, wenn ihnen jemand sagen wollte, was sie in Interviews fragen dürfen und was nicht. Dasselbe auch beim Radio, wo Kolleginnen und Kollegen wie beispielsweise Stefan Kappacher oder Bernt Koschuh sich auch nicht beeinflussen lassen, wie ihre Berichterstattung auszusehen hat. Der politische Druck ist zwar größer geworden, aber gleichzeitig auch das Selbstbewusstsein und die Wehrhaftigkeit der Redaktionen.

Wie wichtig ist es für eine Redaktion Persönlichkeiten wie Wolf oder Kappacher in den Reihen zu haben?
Essenziell, weil sie natürlich auch eine Vorbildwirkung haben. Wenn jemand in einer Redaktion groß wird, in der Duckmäusertum vorherrscht, dann wird wohl kaum journalistischer Mut und Biss entwickelt, der für guten Journalismus notwendig ist. Wenn jemand aber in einer Redaktion arbeitet, in der kritischer Journalismus gefördert wird und in den Redaktionskonferenzen jeden Tag um die besten Beitragsideen gestritten wird, dann wird so jemand einen ganz anderen journalistischen Zugang entwickeln.

Mit der Bestellung des Generaldirektors fängt die Arbeit für den Redakteursrat erst richtig an. Welche Mittel hat er, um auf Missstände hinzuweisen?
Vor allem die Öffentlichkeit. Unser Redakteursstatut sieht zwar formal ein Mitsprache- und Mitbestimmungsrecht bei Entscheidungen vor, die uns als Redaktion betroffen. Wir können bei der Neubesetzung von journalistischen Führungsfunktionen abstimmen, einen Kandidaten oder eine Kandidatin vorschlagen, die wir für am besten geeignet halten. Und wenn das jemand ist, den der Generaldirektor sowieso will, heißt es dann „in Abstimmung mit der Redaktion“. Wenn allerdings jemand anderer für die Funktion vorgesehen ist, dann wird unsere Empfehlung meist ignoriert. Dann muss es zwar noch ein Gespräch mit dem Redakteursrat geben, aber das ändert meist nichts mehr an der Personalentscheidung. Da gibt deutlich stärkere Redaktionsstatute als unseres.

Sie erhielten heuer jeweils einen Preis für Ihre zwei Rollen: Sie wurden als „Wirtschaftsjournalist des Jahres“ und mit dem Concordia-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen das, Genugtuung?
Genugtuung ist das falsche Wort, aber es ist schon sehr viel Freude damit verbunden. Weil ich sehe, dass meine beiden Tätigkeiten sehr positiv wahrgenommen werden. Offenbar mache ich weder als Redakteursvertreter noch als Journalist sehr viel falsch – und da freue ich mich natürlich sehr über die öffentliche Anerkennung, die solche Auszeichnungen mit sich bringen.

Ihre Schülerzeitung hieß damals „Erzschrittmacher“. Ein pfiffiger Titel. Von Ihnen?
Ich habe in Leibnitz Schülerzeitung gemacht und war ein recht schlechter Schüler. Ich habe dann die Schule gewechselt, weil der damalige Direktor mir erklärt hat, ich werde am Leibnitzer Gymnasium eher nicht maturieren. Ich bin dann nach Eisenerz ins BORG gegangen. Und weil es dort noch keine Schülerzeitung gab, habe ich den „Erzschrittmacher“ gegründet. Der Titel hat mir gut gefallen, weil er auf der einen Seite Fortschritt signalisiert und gleichzeitig ein Wortspiel mit dem Ortsnamen Eisenerz ist. Und ein Taktgeber analog zu einem Herzschrittmacher – hohe Ansprüche, die meine Schülerzeitung natürlich nicht erfüllen konnte. Aber ich habe viel dabei gelernt – für mich war es mit 12 Jahren schon klar, dass ich unbedingt Journalist werden will.

Mit zwölf Jahren Journalist werden zu wollen, ist nicht üblich. Woher kam dieser Wunsch?
Ich habe die Arbeit an der Schülerzeitung einfach spannend gefunden, weil ich das Gefühl hatte, da kann ich etwas bewegen. Meine erste Geschichte war über Skateboardfahren, was damals gerade modern wurde. Und durch den Artikel wollte ich meine Mutter davon überzeugen, dass es super ist, wenn man skateboarden darf, weil sie mir das eigentlich verbieten wollte. Das zu verhindern, ist mir inhaltlich nicht gelungen, aber die Freude am Schreiben und Recherchieren, die ist geblieben.

Wie steht es um die Fotografie, Ihre Leidenschaft abseits des Journalismus?
Ich habe im Jänner des Vorjahres, noch kurz vor dem erste Lockdown, in Leibnitz in der Galerie Marenzi meine Foto-Ausstellung „dunkle Wege, dunkle Gedanken“ gezeigt. Da geht es um das Thema Depressionen und den noch immer sehr tabuisierten Umgang mit psychischen Erkrankungen. Diese Ausstellung werde ich im Oktober auch in Wien zeigen, weil in der Corona-Krise die psychischen Erkrankungen deutlich zugenommen haben und ich das Thema für sehr wichtig halte.