Die neue Regierung legte vor wenigen Wochen ihr Programm und damit auch die medienpolitischen Pläne vor. Was hat sie darin erfreut, was enttäuscht?
ALEXANDER WRABETZ: Zunächst muss man sich alternativ dazu vorstellen, wenn jetzt die Herren Vilimsky und Hafenecker das Medienprogramm gestaltet hätten. Für den ORF stehen drei Punkte im Vordergrund: Das Wichtigste ist, dass die Regierung einen unabhängig finanzierten ORF, sprich die Beibehaltung einer budgetunabhängigen Finanzierung will. Das Zweite ist, dass man sich dazu bekennt, dass es eine Weiterentwicklung im digitalen Bereich für den ORF geben muss. Das dritte Positive ist das Bekenntnis zum ORF in seiner breiten Aufstellung mit einer Flottenstrategie, in der auch Ö 1, FM 4 und ORF III erwähnt werden.

Kommen soll eine Öffnung des ORF-Archivs. Das ist doch eine alte Forderung der Privatsender?
ALEXANDER WRABETZ: Ich lese es als ausgeschlossen, dass es eine kommerzielle Verwertung der Archive durch Dritte geben soll. Das was ich hier lese, ist die Öffnung in Richtung Bundesarchivgesetz, wo man die Archive für wissenschaftliche Forschung und teilweise auch für Einzelpersonen öffnet. Dass man sich etwa die Nachrichten von seinem Geburtstag ansehen kann. Was es nicht geben wird ist, dass sich etwa der Privatsender XY am Tag nach der Erstausstrahlung etwa die „Vorstadtweiber“ aus dem Archiv holen und gratis abspielen kann.

Was im Regierungsprogramm nicht explizit steht, ist der Hinweis auf ein neues ORF-Gesetz. Wie lange kann der ORF noch darauf warten?
ALEXANDER WRABETZ: Auf dieses große ORF-Gesetz, mit Neuordnung der Gremien, des Auftrags und der Finanzierung, warte ich gar nicht, weil ich das für den ORF nicht für das Vordringlichste halte. Was ich für vordringlich halte, ist die Weiterentwicklung im digitalen Bereich, das duldet für den notwendigen ORF-Player keinen Aufschub. Dazu zählt die Aufhebung der 7-Tage-Regel in der TVthek, aber auch, dass man bestimmte Videos ausschließlich für den Player machen darf, also „online-only“ und „online-first“.

Alexander Wrabetz im Jahr 2000 als Kaufmännische Direktor des ORF.
Alexander Wrabetz im Jahr 2000 als Kaufmännische Direktor des ORF. © APA

Sind die Landesstudios, die seit 2016 am Frühfernsehen beteiligt sind und noch mehr in den Hauptabend involviert werden sollen – Beispiel: Jahresrückblick – nicht schon am Rande ihrer Kapazitäten? Und dann wurden auch Bundesland-Spätnews pilotiert, die vor der ZiB 2 kommen könnten.
ALEXANDER WRABETZ: Die Zulieferungen ans nationale Programm sind in den vergangenen Jahren auch in der Daytime oder bei der Kultur extrem gestiegen – und das ist gut so. Ich weiß schon, dass es für manches Landesstudio schwierig geworden ist. Neue Sendungsgefäße werden mit dem derzeitigen Personalstand nicht gehen, wenn man es ordentlich, gut und richtig machen will. Daher arbeiten wir gerade ein mittelfristiges Gesamtpersonal-Konzept aus, weil Mitte der 2020er-Jahre eine Pensionswelle auf uns zukommt. Wo muss also wie nachbesetzt werden und wo kann noch eingespart werden? Die pilotierten Bundesland-Nachrichten kurz vor 22 Uhr sind derzeit aber kein Thema.

Geht die Reform von ORF 1 nicht zu langsam voran? Stiftungsräte beklagen die Quick-Wins. Nun soll einmal mehr „Dancing Stars“ ein Rettungsanker sein?
ALEXANDER WRABETZ: Nach wie vor gibt es sehr sehr viele in der Fernsehwelt, die uns um ORF 1 beneiden. Wir sprechen vom zweitwichtigsten Sender der Österreicher mit durchschnittlich rund zwei Millionen Zuschauern täglich und vom klaren Marktführer in der werberelevanten Zielgruppe. Es geht immer um die Weiterentwicklung des Senders und nicht um Notmaßnahmen. ORF 1 ist aufwendig, weil wir dort viel Sport und viel eigenproduzierte Fiction haben. Und natürlich haben wir finanzielle Restriktionen für den notwendigen und gewollten Ersatz von amerikanischen Serien und Filmen. Daher können wir das nicht ganz so rasch vorantreiben, wie wir das strategisch wollen würden.

Das heißt?
ALEXANDER WRABETZ: Ganz in Ruhe müssen wir neue Dinge vorbereiten und umsetzen. Und wenn etwas nicht so funktioniert, ohne Staatskrise sagen dürfen: Das war jetzt nicht richtig! Im Frühjahr wollten wir jetzt nicht ein Unterhaltungsevent neu ausprobieren, sondern mit „Dancing Stars“ auf etwas Bewährtes setzen. Wir arbeiten aber an einem musiknahen Event-Format für die Zukunft.

Gegen die Zeit im Bild um 19.30 Uhr als meist gesehene nationale Nachrichtensendung scheint es künftig kannibalisierend, eine Eigenproduktion auf ORF 1 zu programmieren?
ALEXANDER WRABETZ: Über eine Durchschaltung der Zeit im Bild denken wir ernsthaft nach, obwohl ich selbst sie 2007 abgeschafft habe. Aber natürlich stelle ich mir die Frage: Ist das immer noch richtig? Es ist richtig, dass wir gegen die erfolgreiche ZiB keine Eigenproduktion in ORF 1 programmieren werden. Daher denken wir darüber nach, ob wir eine Durchschaltung wieder einführen. Klar ist, dass wenn dies überhaupt kommt, es nur bei einer Erweiterung – die Zeit im Bild 1 auf ORF 2 würde damit also dann länger als 18 Minuten dauern – Sinn macht. Es gibt aber auch sehr viele Argumente für die Beibehaltung der jetzigen Programmierung und wir werden in dieser insgesamt für den ORF sehr erfolgreichen Zeitzone nur etwas ändern, wenn wir alle Pros und Contras sorgfältig abgewogen haben.

Noch verfügt der ORF über große Sportrechtepaket mit Fußball-WM, EM, Skisport und Formel 1. Wird man sich das auch in der Periode nach 2024 noch leisten können?
ALEXANDER WRABETZ: Ich beschäftige mich im Rahmen der EBU gerade mit den Olympischen Spielen 2028 und 2032. Also ja, wir bemühen uns und planen hier sehr langfristig. Wir haben zum Beispiel die internationalen Skirechte bis 2025 verlängert. Was uns in der Argumentation hilft: Mag sein, dass die Streaming-Plattform XY heute einen Preis zahlt, wo wir nicht mit können – aber uns gibt es auch in zehn Jahren sicher noch. Dazu sehen wir an der Champions League international den starken Rückgang der Reichweiten, das will natürlich niemand. Man versteht dadurch wieder: Free-TV-Coverage hat einen Wert.

Was sagen Sie einem begeisterten Fan des österreichischen Fußballs, der fragt, warum er gleich hohe ORF-Gebühren zahlen muss, obwohl er viel weniger Bundesliga-Leistung bekommt?
ALEXANDER WRABETZ: Wir haben heuer die komplette Euro, den Wintersport, die Formel 1, die Fußball-Nationalmannschaft, den ÖFB-CUP, die zweite Fußball-Bundesliga, die Highlights der Bundesliga und vieles mehr wie zum Beispiel jetzt gerade die sehr erfolgreiche Handball-EM. Das ist für einen öffentlich-rechtlichen Sender schon noch immer ein sehr ordentliches Angebot.

Sieht man in ORF bald wieder internationalen Vereinsfußball?
ALEXANDER WRABETZ: Ja.

Welcher Bewerb?
ALEXANDER WRABETZ: Nicht die Champions League.

Also die Europa League?
ALEXANDER WRABETZ: Dazu kann ich im Moment noch nichts sagen.

Warum werden eigentlich von ORF III nach wie vor die Quoten nicht veröffentlicht – er ist als Spartensender doch erfolgreich?
ALEXANDER WRABETZ: Sie sind in dem Sinn nicht geheim, wir veröffentlichen sie nur nicht (lacht). ORF III hat mit derzeit täglich rund 800.000 Zuschauern ein wachsendes, begeistertes Publikum, ist eine verlässliche Ergänzung zu den beiden Hauptsendern, eine Heimat- oder Lebenswelt für Lern- und Wissbegierige. Das Publikum ist also da, wenn man es mit TW1 vor acht Jahren vergleicht, wo es rund 200.000 waren. Mit ORF III konnten wir zudem auch neue Produktionsmethoden ausprobieren.

Also zwischen 2,0 und 3,0 Prozent Marktanteil?
ALEXANDER WRABETZ: In der Größenordnung von Servus TV plus minus, ja.

ORF-Star 2019 und nun Journalist des Jahres ist Tobias Pötzelsberger. Plant man ein eigenes Format für ihn?
ALEXANDER WRABETZ: Nein, kein eigenes Format, aber er wird sich sicher weiterentwickeln - und da ist der Weg noch lange nicht aus. Er hat ein wirklich großes Potential. Pötzelsberger ist das sichtbarste Beispiel einer neuen Generation, sowohl in der Moderation als auch bei den Reportern wie zum Beispiel Simone Stribl oder Matthias Westhoff und viele mehr.