Thomas Bernhard, Friedrich Schiller, Richard Wagner, Edouard Manet: Aus der Kulturgeschichte kennt man das Phänomen, dass einstige Aufreger nach einer gewissen Zeit zu Klassikern werden. Niemand mehr, der sich wirklich über "Heldenplatz" erregt, auch Schillers "Räuber" sorgen im Normalfall kaum mehr für Empörung. Ein ähnliches Phänomen ist - auf völlig anderem Niveau - beim "Dschungelcamp" zu beobachten: Als es 2004 erstmals lief, entrüstete man sich allenthalben: "Zurschaustellung", "Voyeurismus", "Zynismus", "Niedergang der Kultur". Das muntere Treiben zwischen Kakerlaken aller Arten wurde als neuer Tiefpunkt der Fernsehunterhaltung empfunden.

14 Jahre später gehört das "Dschungelcamp", dieses mit großem Abstand reinste und stärkste aller "Reality"-Formate, längst zum Inventar einer von elektronischen Medien geprägten Welt. Die Sendung wurde journalistisch wie die Sau durchs Dorf getrieben. Kein Feuilleton, das auf sich hielt, kam um eine kluge Abhandlung herum, kein Medium, das nicht via Tagebuch die Ereignisse im Camp und die oft sehr menschlichen Marotten seiner Bewohner humoristisch-ironisch ausgequetscht hätte. Die Zeitungen und alle anderen machten sich zu Kumpanen der Unterhaltungsindustrie und eines Senders, der schnell erkannte, dass man Trash am besten dadurch verkauft, indem man ihn dezidiert als Trash ausweist. (Mit dem Hinweis, dass man die Manipulation der Kulturindustrie eh als solche erkennt, verhilft man der Kulturindustrie immer noch am schnellsten und sichersten zum Sieg.)

Das "Dschungelcamp" ist der Zerrspiegel einer Welt, deren Aufmerksamkeitsspanne durch Instagram und Co. noch kürzer geworden ist, als sie vor 20 Jahren war. Man kann sich das immer noch anschauen, aus ironischer Distanz freilich, aber bei der derzeit laufenden, 14. Ausgabe, fragt man sich immer stärker: Warum eigentlich? Das einstige Premiumprodukt des Müllfernsehens hat sich massiv abgenutzt. Die Ekelprüfungen sind eigentlich nur mehr Routine, das Verspeisen von Körperteilen merkwürdiger Tiere, das Wühlen in Schleim und Unrat, das Tete-a-Tete mit Riesenspinne und Co hat den Reiz des Verbotenen, Unerhörten schon vor Jahren verloren.

Man schaut hin weil halt Jänner ist, und um diese Zeit des Jahres ist halt Dschungelcamp. Was sieht man 2020? Eine grandiose Alleinunterhalterin wie Larissa Marolt 2014 fehlt wie zuletzt eh immer. Und wie immer steuert RTL geschickt das Verhalten der Zuseher. Die prolohafte, krawallige Elena Miras und die verhaltensauffällige, egozentrische Danni Büchner wurden ausgiebig in die Auslage gestellt und tragen nun die erste Woche im Camp. Büchner muss dabei die Hauptlast schultern, in Woche 2 wird ihr wohl die Energie fehlen und RTL das Interesse verlieren und auf andere Teilnehmer setzen.

Büchner performt durchaus eigenwillig. Glaubt man ihren Eigenaussagen, dann hat sie das Konzept des Formats in mehrfacher Hinsicht nicht verstanden: "Man kann sich doch nicht daran ergötzen, jemanden leiden zu sehen", sagte sie angesichts der Tatsache, dass sie verlässlich jeden Tag in die Dschungelprüfung gewählt wird. Dabei kann man sich seit Dschungelcamp 1 vor allem auf eines verlassen: Die Bestrafungsmacht Fernsehgemeinde schießt sich (mit inszenatorischer Hilfe von RTL) immer wieder auf die Outsider ein, auf die jungen Frauen mit der großen Pappen, auf die Opfer, auf Leute, denen solche Prüfungen massiv Unbehagen bereiten, und auf Leute, die wenig stromlinienförmig auftreten. Ein Novum ist, dass es mit Büchner heuer eine etwas ältere Frau trifft.

Büchner hat in Folge 5 am Dienstagabend den Kardinalsfehler begangen, das Publikum als "Idioten" zu bezeichnen. Leute, denen man seinen fragwürdigen und kurzfristigen "Ruhm" verdankt, sollte man besser nicht anflegeln. Damit sind Büchner die restlichen Dschungelprüfungen sicher. Sie wird es in Woche 1 richten, danach wird sich der Fokus auf andere Camper legen.

Weil  das "Dschungelcamp" zum hobbymäßigen Menschenstudium animiert, hier noch die Prognosen für alle Camper.

Die Chancen der Camper

  • Anastasiya Avilova: Wurde von RTL vermutlich engagiert, weil sie als Opfer heralten könnte, ist dafür aber viel zu brav. Fall RTL nichts unternimmt, wird sie keinen Eindruck hinterlassen. Prognose: Platz 7 bis 10.
  • Danni Büchner: Eine ideale Camperin. Egozentrisch, nach Aufmerksamkeit lechzend, behelligt andere mit ihrem bewegen Vorleben. Und Beweis für die alte Dschungelcamp-Maxime: Du kannst dich verstellen, aber nicht dein Wesen verbergen. Pronose: Platz 7 bis 5.
  • Marco Cerullo: Etwas weinerlich, könnte noch zur Reizfigur taugen, aber bisher von RTL noch stärker außen vor gelassen. Wird mit zunehmender Mangelernährung und Genervtheit wohl noch auffälliger werden. Prognose: Schwer. Mittelfeld oder vielleicht Top 3.
  • Prince Damien: Der bunte Vogel, der sehr ehrlich wirkt, weil er offenbar ungefiltert alles herausplappert. Ein Typ Camper, der meist weit kommt. Prognose: Top 3.
  • Sonja Kirchberger: Ein bisschen zu normal und in Relation geerdet, auch ein Typ, wie er jedes Jahr vorkommt. Unberechenbar, was die 2. Woche betrifft. Prognose: Geht entweder gleich oder kommt sehr weit.
  • Elena Miras: Große Klappe, attraktiv, jung. Also die RTL-Paradecamperin. Hat Glück, dass sich der ganze Unmut derzeit auf Danni Büchner entlädt und sie nicht aufgerieben wird. Prognose: Top 3 mit Chancen auf Sieg.
  • Claudia Norberg: Ist nur drinnen, weil sie Schmutzwäsche waschen soll. Wenn sie die bezüglich ihres Ex Michael Wendler nicht bald auspackt, wird das nix mehr. Prognose: Hintere Plätze.
  • Sven Ottke: Kumpeltyp und Motivator, Vertreter des Hausverstandes, wasin der Masse bekanntlich sehr gut ankommt. Prognose: Mittelfeld oder Sieg.
  • Markus Reinecke: Der Trödler ist viel zu farblos für das Format. Seine Chance: Wenn die Mitcamper sich weiterhin über die angebliche Lächerlichkeit seiner Nachmittags-Show auslassen (Zitat: "Programmbeschaffung"), könnte der Mitleidseffekt etwas bringen. Prognose: Schneller Abschied.
  • Raul Richter: Der Normalo-Typ, den sonst meist die Sportler im Camp vertreten. Wenn er sich in der zweiten Woche gut anstellt und ein paar Prüfungen ohne Murren und erfolgreich absolviert, kommt er weit. Prognose: Top 4.
  • Toni Trips: Der zweite bunte Vogel, den RTL sich als Trumpf noch für die zweite Woche aufspart, eventuell. Prognose: Kommt weit.
  • Günter Krause: Zu kurz eingesetzt. Prognose: Karriereende nicht vermeidbar.