"Alles neu im 20. Jahr“, behauptet Mathis Huber. Das ist natürlich ein bisschen geschummelt, weil der längstdienende Intendant Österreichs schon immer auch auf Kontinuität setzt. Aber für das recreation-Orchester und dessen Jubiläumssaison hat er einmal mehr weitergedacht.

Zuvorderst steht die neue Chefdirigentin: nach Stefan Vladar,Andrés Orozco-Estrada und Michael Hofstetter also erstmals eine Frau – und eine gute Bekannte: Mei-Ann Chen, schon bisher Erste Gastdirigentin, übernimmt für die nächsten fünf Jahre den Stab. In einer Videoeinspielung aus Chicago zeigte sich die gebürtige Taiwanesin bei der gestrigen Präsentation des Saisonprogramms 2021/22 hocherfreut über kommende Aufgaben und versprach, den Fokus künftig vermehrt auf die Jugend und Komponistinnen zu legen.

Die 48-Jährige eröffnet mit einem Mozart-Programm die Saison des „Großen Orchesters Graz“ und wird in zwei weiteren Projekten Wagners „Ring ohne Worte“ und – passend zu ihrer Wahlheimat – Antonín Dvořáks Symphonie „Aus der neuen Welt“ sowie ein spätes Stück von Iván Eröd (1936–2019) verantworten.

Im insgesamt neunteiligen Orchesterzyklus sind weitere Frauen wie Daniela Musca (bei Gershwin, am Freitag und Samstag übrigens in einem Nachholkonzert bei Brahms und Mozart im Einsatz) ebenso tonangebend wie treue Mitstreiter am Pult wie Michael Hofstetter oder Andreas Stoehr oder junge Entdeckungen wie der Tscheche Jiří Rožeň (29) im „Nussknacker“-Weihnachtskonzert und die Venezolanerin Glass Marcano (25) mit einem Beethoven-Programm, laut Huber „ein Rohdiamant“.

In den vier Projekten von recreationBarock, ab Dezember im frisch renovierten Minoritensaal, gibt es neben einer „Instant-Version“ (© Huber) von Händels Oratorium „Il trionfo del Tempo e del Disinganno“, am Freitag ja bei den Salzburger Festspielen szenisch zu erleben, auch den zweiten Teil von Bachs „Weihnachtsoratorium“ mit Jordi Savall, nochmals Händel („Wassermusik“) und Vivaldi mit spanischem Esprit (geleitet von der Geigerin Lina Tur Bonet) zu genießen.

Die weiteren Neuigkeiten bei recreation: Die schon im Vorjahr praktizierten „fußfreien“ Konzerte im Stefaniensaal werden nun teils auch am Sonntagnachmittag (16 und 18 Uhr) angeboten. Insgesamt 17 Abovarianten lassen hohe Flexibilität zu – dabei kann man auch „Am Set“ wählen und dabei Konzert-Filmmitschnitte live erleben.

Interview mit Mei-Ann Chen

(Von Andreas Stangl/APA)

Für ihre erste Saison als Chefdirigentin - seit zwei Jahren ist sie bereits Erste Gastdirigentin des Orchesters - kündigt sich für Chen gleich ein Highlight an, wenn sie die "Jupitersymphonie" aufführt: "Es ist so eine große Ehre, in Österreich Mozart zu dirigieren", sagte sie und freute sich auch auf das geplante Grazer Richard-Wagner-Projekt, den "Ring ohne Worte". Mit dem Tripel-Konzert von Ivan Eröd wird sie auch das Werk eines stark mit Graz verbundenen Komponisten aufführen.

Ab kommendem Jahr möchte sie dann intensiv mit dem neuen Jugend-Orchester der styriarte arbeiten. Die Jugendarbeit liegt ihr besonders am Herzen: "Ich habe das älteste Jugendorchester Amerikas, das Portland Youth Philharmonic, geleitet und mache ständig etwas mit jungen Musikern. Im Sommer gebe ich mein Debüt mit dem Carnegie NYO2-Orchester und 2021 mit der Jungen Philharmonie in Oslo."

Ein weiteres Anliegen ist Chen die Förderung der Werke weiblicher Komponisten. Als Beispiel nannte sie die weitgehend in Vergessenheit geratene Johanna Müller-Hermann (1868-1941), deren "Heroische Ouvertüre" eigentlich schon vor der Pandemie im Programm der styriarte geplant war, und von der Chen hofft, sie nun aufführen zu können. Und sie ergänzte: "Vielleicht gibt es ja auch zeitgenössische Komponistinnen in Graz und in Österreich, die ich fördern kann."

Angesprochen auf ihre einstigen Schwierigkeiten, sich als junge Dirigentin im Musikbetrieb durchzusetzen, meinte sie: "Ich wusste nicht, lag es daran, dass ich jung war, eine Frau oder wo ich herkam, wie ich aussehe? Ich glaube, es ist einfach für alle jungen Dirigenten schwer, sich im Profibetrieb zu etablieren." Ihr habe damals ein speziell für junge Dirigentinnen geschaffenes Taki Alsop-Stipendium ihrer Mentorin Marin Alsop geholfen. Seit September 2019 ist die 64-jährige New Yorkern Alsop übrigens selbstein bisschen "Österreicherin" -  als Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien. Inzwischen hat Chen selbst in den USA rund ein Dutzend junger Dirigenten und Dirigentinnen bei ihrem Karrierestart unterstützt.

In Bezug auf ihre musikalischen Vorlieben sieht sie sich als vielseitig. "Ich habe in Chicago den Ruf, Dinge zu tun, die ein bisschen über das Gewöhnliche hinausgehen". Als Beispiel nannte sie den Einsatz eines Gospelchors in einer von ihr geleiteten Aufführung von Antonin Dvoraks 9. Symphonie "Aus der Neuen Welt". Sie hoffe, dass es ihr gelingen werde, auch das Grazer Publikum "ein bisschen aus der Komfortzone" zu locken.

Voller Lob ist sie für den Klangkörper der styriarte: "In Österreich hat man so ein Gespür für die Phrasierung. Ich komme zur styriarte und sie schenken mir so einen schönen Klang. Es ist ein Genuss. Ich vergleiche das immer mit etwas, das ich an Österreich besonders mag, der Sachertorte. Es schmilzt am Gaumen, es ist süß und man balanciert es mit starkem Kaffee aus."

In Asien gelte Österreich als eine Art gelobtes Land der Musik. Einer ihrer Lehrer habe ihr damals gesagt, sie müsse unbedingt dort einmal hinfahren, auf den gleichen Straßen zu gehen wie die großen Komponisten. "Es ist eine große Ehre, jetzt eine Art musikalische Familie in Österreich zu haben."