Frau Yende, sie werden diese Premiere vor einem leeren Publikumssaal singen. Wie geht es Ihnen damit?
PRETTY YENDE: Ich fühle mich so, als hätte ich meine Mitte verloren, ich vermisse meinen Anker! Das Publikum ist mein Anker, und der Austausch während der Aufführung macht unseren Beruf so besonders. Das Theater ist ein spezieller Ort, wo man gemeinsam mit anderen auf eine Reise ins Ungewisse geht. Wenn es kein Publikum gibt, bin ich nicht geerdet, meine Emotionen gehen in einen leeren Raum. Aber: Als darstellende Künstlerin ist man es gewohnt, mit neuen Situationen umzugehen und ich bin außerordentlich glücklich, überhaupt die Möglichkeit zu haben, Musik zu machen. Man muss Freude haben und einfach daran denken, dass zwar niemand da ist, aber Tausende Leute an den Schirmen in ihren Wohnzimmern sitzen und diese Energie empfangen können.

Sie singen Verdis Traviata was halten Sie von der Figur?
Sie tut mir wahnsinnig leid, sie hat Probleme, die ganz heutig sind. Wir leben in Zeiten, in denen von uns gefordert wird, uns anzupassen, in denen wir um Aufmerksamkeit bitten, wo wir nach außen Stärke zeigen müssen, obwohl wir in uns drinnen mit vielen Problemen kämpfen. Ich habe viel von der Traviata gelernt, weil sie eine so starke Frau ist, sie zeigt in ihrem jungen Alter Weisheit, Intelligenz und Menschlichkeit. Sie ist bereit, sich für die Liebe und Familie aufzuopfern.

Sie arbeiten mit  dem Regisseur Simon Stone an der Produktion. Ändert sich die Perspektive auf die Figur während der Probenarbeit?
Das entwickelt sich tatsächlich sehr. Ich habe die Rolle erstmals in der selben Produktion mit dem selben Regisseur in Paris gesungen. Simon Stone ist unglaublich, er erlaubt einen künstlerischen Prozess und schafft einen Freiraum, wo ich nicht Angst davor haben muss, etwas auszuprobieren. Bei der Wiederaufnahme habe ich diese Erfahrung mitgenommen, aber der Charakter entwickelt sich natürlich weiter – Kunst bewegt sich, sie erreicht nie das Ziel. Ich glaube, dass ich die Rolle jetzt mit mehr Selbstbewusstsein darstellen kann.

Wie kommen Sie generell mit dem Starregisseur  Stone aus?
Großartig. Er ist ja auch Schauspieler, also weiß er genau, was ein Darsteller benötigt, um eine Rolle zu erschaffen. Er lässt den Darstellern viel Raum, er stört sie nicht, sondern vertraut darauf, dass sie zu ihren Rollen finden. Wenn er bemerkt, dass man Probleme bekommt, dann ist er immer da, um zu helfen. Er ist nicht der Typ der sagt: „Der Charakter muss so und so sein“, er schreibt da nichts vor. Er stellt das Regiekonzept vor, und nachdem wir uns alle in dieses verliebt haben, können wir es selbst für uns entdecken.

Sie sind aus Südafrika, ein Land über das wir relativ wenig wissen. Könnten Sie beschreiben, wie sie zur Oper gekommen sind?
Oper war mir fremd, bis ich im Fernsehen die Werbung der British Airways gehört habe: Die haben das "Lakme"-Duett verwendet. Diese zehn Sekunden Musik haben mein Leben verändert, es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Ich war zwar vorher auch lebendig, aber erst ab dort war ich wirklich, wirklich lebendig! Für mich war die Vorstellung, dass Menschen die Gabe haben, so etwas zu tun, fast übernatürlich. Ich habe von meinem High-School-Lehrer förmlich verlangt, dass er mir das beibringen soll, weil ich überzeugt war, dass er das kann. Ich bin in einer sehr liebevollen Familie aufgewachsen, meine Großmutter hatte mir Kirchenhymnen beigebracht, also war ich überzeugt, dass ich das lernen könne. Zum Glück hatte ich auch Talent.

Heute singen Sie auf den wichtigsten Opernbühnen der Welt, was sind denn die Unterschiede zwischen New York, Paris und Wien?
Das sind wie unterschiedliche Charaktere. Eine der schönsten Dinge am Menschsein ist, dass wir extrem unterschiedlich sein können, aber uns dennoch verstehen und Beziehungen aufbauen können. Ich habe das Glück gehabt, dass ich überall sehr gut aufgenommen worden bin, egal, ob das Publikum mich schon gekannt hab. Das New Yorker Publikum ist, als würde es einen Film anschauen: Da wird sofort reagiert, auch gelacht. In Wien und Paris ist das Publikum nicht so spontan. In Paris hat man mir vorher gesagt, dass Publikum sei besonders schwierig – ich war fast schockiert, dass es bei "Lucia di Lammermoor" nach der Wahnsinns-Szene nach jeder Aufführung Standing Ovations gab.Wie gehen Sie denn mit der Coronakrise um?
Es ist sehr hart. Ich habe letztes Jahr in Paris die Manon von Massenet gesungen, als alles zusperren musste. Damals war ich noch recht glücklich darüber, weil ich endlich wieder einmal zurück nach Südafrika konnte, um Zeit mit der Familie zu verbringen. Aber mit jeder Absage wurde die Sache verstörender und belastender. Singer sind wie Sportler: Wir brauchen die Praxis, sonst verlieren wir unsere Muskeln.

Wie sehen Ihre Pläne unter solchen Umständen aus?
Mit all den Verschiebungen und Absagen ist es sehr schwer, Pläne zu machen. Wir können jetzt die Traviata wenigstens einmal zeigen und hoffen, dass wir auch noch Vorstellungen mit Live-Publikum haben können. Sonst studiere ich vor allem neues Repertoire.

Welche Rollen werden das sein?
Seit der Erfahrung mit der Traviata, möchte ich mehr lyrisches Repertoire singen. Marguerite ("Faust") und Juliette ("Romeo et Juliette") von Gounod, eventuell etwas von Puccini, die Liu ("Turandot") und später auch die Mimì ("La boème"). Was sicher kommt, ist Verdis Gilda ("Rigoletto") und später Donizettis Anna Bolena.

Giuseppe Verdi. "La Traviata". Mit Pretty Yende (Violetta), Juan Diego Flórez (Alfredo), Igor Golovatentko (Germont). Regie: Simon Stone. Dirigent: Giacomo Sagripanti. Wiener Staatsoper.
Live-Übertragung auf ORF III am 7. 3. um 20.15 Uhr.