"NH = ich = Niki....viel Vergnügen", notierte Nikolaus Harnoncourt zu den Aufzeichnungen für sein "Familienbuch", die er ab 2011 auf Drängen seiner Enkel zu Papier brachte. Zweieinhalb Jahre nach dem Tod des Ausnahmedirigenten hat seine Witwe Alice nun diese privaten Schriften in Buchform veröffentlicht. Im Sinne ihres Mannes, schreibt sie im Vorwort, halte sie sich an den "Urtext". Dass dieser auch mit zahlreichen von Harnoncourt mit spitzen Bemerkungen versehenen Bildern, mit Skizzen und Karikaturen des auch zeichnerisch äußerst begabten steirischen Adelssohnes aus seinen Schulheften einhergeht, bedeutet ein besonderes Vergnügen.

Dass Nikolaus Harnoncourt, der als Dirigent die musikalische Vergangenheit bis ins hohe Alter mit jugendlichem Blick frisch zu entdecken wusste, auch über seine Lebensgeschichte, sowie die seiner Vorfahren, mit einem direktem Zugriff auf das Wesentliche, mit Augenzwinkern bei großer Quellentreue und mit hoher Anschaulichkeit zu schreiben wusste, mag dagegen wenig überraschen. "Platsch - sie drehte den Kübel um und das ganze Wasser klatschte auf den kleinen nackten Buben...", beginnt er seine Erzählung. Der nackte Bub ist er, die beschriebene Praxis war der letzte Ausweg seiner Mutter, sein stundenlanges, scheinbar grundloses Brüllen zu beenden. Sein erstes Wort sei "Nein" gewesen. Auf dem Fuße folgt auf die Anekdote die künstlerische Metaebene: "Warum kennt die Kunst kein Ja? Sofort würde es Kitsch. Sie kennt nur das Nein, die große Frage, den tieferen, furchtbaren Einblick. Echte Kunst ist ja auch deshalb immer Opposition." Beim Lesen merkt man fast erschrocken, wie sehr Harnoncourt fehlt.

"Meine Familie" von Nikolaus Harnoncourt und Alice Harnoncourt. Residenz Verlag, 240 Seiten, 26 Euro