Nur drei Tage lief ihr neuer Film „Die perfekte Kandidatin“ in den heimischen Kinos. Dann kam der Lockdown. Am Freitag feiert das Polit-Drama sein Leinwand-Comeback. Wir trafen die saudi-arabische Filmemacherin Haifaa Al Mansour noch am 2. März in Berlin zum Interview. Damals meldete die deutsche Hauptstadt ihren ersten Covid-19-Fall.
Ihr Debüt „Das Mädchen Wadjda“ gilt als erster Film, der zur Gänze in Saudi-Arabien gedreht wurde. Sie erzählten darin von einem Mädchen, dessen sehnlichster Wunsch es ist, Fahrrad zu fahren. Das war damals nicht erlaubt. Jetzt schon. Welchen Anteil hat der Film daran?
HAIFAA AL MANSOUR: Jetzt dürfen Frauen sogar Auto fahren und einen Pass haben. Der Film war damals in den Nachrichten und es gab Diskussionen über die Freiheit von Frauen. Er hat das Bewusstsein für eine Veränderung genährt. Ich denke nicht, dass ein Film die Welt verändern kann. Aber ich glaube fest daran, dass Filme imstande sein können, die Herzen und Gedanken der Menschen für neue Perspektiven zu öffnen und auf entspannte, humorvolle Weise einen Dialog in Gang zu setzen. Kultur treibt Menschen an, fortschrittlicher und offener zu sein und die Bedürfnisse anderer besser zu verstehen.


Wie und mit welchen Filmen wurden Sie als Mädchen sozialisiert? Kinos gab es damals in Ihrer Heimat ja nicht, sie sind erst seit 2018 wieder erlaubt.
Es war zwar nicht erlaubt, aber ich sah sehr viele Filme, auch viele Blockbuster. Mein Vater brachte sie uns aus der Videothek. Ich wuchs in einer kleinen Stadt auf, es passierte wenig, es war sehr fad. Filme eröffneten mir einen anderen Blick auf die Welt – einen voller Farbe: Ich sah, wie Menschen für ihr Land kämpften, wie sie sich verliebten. So habe ich mich in den Film verliebt.


In „Die perfekte Kandidatin“ bewirbt sich eine Frau für ein politisches Amt. Wie realistisch ist das?
Theoretisch betrachtet kann man sich um ein Amt bewerben. Die meisten Frauen sehnen sich nicht danach, es würde ihnen Kopfzerbrechen bereiten, ob die Gesellschaft bereit für eine Frau an der Spitze wäre und wie sie mit der Öffentlichkeit und gemischten Orten umgehen sollen. In liberaleren Staaten des Nahen Ostens wie Ägypten oder Kuwait, wo es eine Art Wahlen und ein Parlament gab, sah man, dass Frauen nicht gewählt wurden, weil man ihnen nicht vertraut.


Wie könnte man das ändern?
Der einzige Weg da raus sind Vorbilder, die eine neue kollektive Geschichte schreiben, die sich durchsetzen wird. Wir werden in Zukunft mehr Frauen in Führungspositionen großer Unternehmen, mehr Entscheidungsträgerinnen und auch mehr Filmemacherinnen sehen.


Saudi-Arabien gibt sich zuletzt immer liberaler. Wofür müssen Frauen dennoch kämpfen?
Viele Dinge haben sich geändert, aber die Dynamik innerhalb der Familie sowie der Ehrenkodex haben sich nicht verbessert. Wir sollten dafür kämpfen, die Werte zu ändern: mehr Gleichberechtigung, Freiheit und Toleranz. Die Veränderung erfordert Bildung, Kunst, Musik, Theater und Filme. Das wird hoffentlich dazu führen, dass Frauen kein Gegenstand des Kampfes mehr sind und weniger Verbrechen gegen sie verübt werden und wir als Gesellschaft entspannter sind.


Was soll dieser Film im Nahen Osten bewirken?
Ich freue mich sehr, dass mein Film dort gezeigt wird. Und ich hoffe, dass er Frauen dazu inspiriert, etwas zu tun, was sie wirklich wollen, und dass sie keine Angst vor den Reaktionen der Gesellschaft haben werden.


Sie arbeiten sowohl in den USA als auch in Saudi-Arabien. Wo werden Sie demnächst drehen?
Ich versuche, beide Welten in Einklang zu bringen, das ist wichtig für mich. In Saudi-Arabien zu drehen, ist immer sehr intim. Ich liebe die Sprache und die Themen sind mir meist sehr nahe. Gleichzeitig ist es sehr faszinierend, in den USA Teil einer Industrie mit professionellen Schauspielern zu sein. Es ist wie eine Maschine, und man fühlt sich dabei sehr mächtig.