Aufgrund seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung hat sich Peter Turrini schon vor Monaten vollständig in sein Weinviertler Arbeitszimmer zurückgezogen. Die Entscheidung, ob er nun zur Uraufführung der Oper „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ von Johanna Doderer (das Libretto stammt von Turrini) am Münchner Gärtnerplatztheater fahren soll oder nach Wien, wo ebenfalls am 23. April die Uraufführung seiner Tragikomödie „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ in den Kammerspielen der Josefstadt geplant war, hatte der Dramatiker längst getroffen: Er werde beide Premieren schwänzen, teilte er schriftlich mit.

Warten auf August

Nun hat sich das mit dem Schwänzen auch erledigt. Und der Verlust des Gewesenen im Alzheimer-Stück könnte sich im Rückblick auf die Corona-Monate 2020 als neuer Anfang herausstellen. „Die Natur präsentiert uns eine Rechnung,“ ist Regisseur Alexander Kubelka überzeugt. „Wir sollten die Stopptaste drücken und uns fragen, was wir eigentlich tun.“ Mitte März musste Kubelka die Proben nach einem Monat abbrechen, vorsichtig optimistisch rechnet der Kärntner, „im August, September wieder probieren zu können“. Vorausgesetzt, das ist bis dahin erlaubt. Selbst bei einem Zweipersonenstück sind bei Proben bis zu 15   anwesend (Dramaturgie, Assistenten, Techniker etc.).

Regisseur Alexander Kubelka rechnet mit einer Wiederaufnahme der Proben für Turrinis Alzheimer-Stück gegen Ende des Sommers
Regisseur Alexander Kubelka rechnet mit einer Wiederaufnahme der Proben für Turrinis Alzheimer-Stück gegen Ende des Sommers © ©anja koehler | andereart.de

Altersheim

Im Drama „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“ spielen Maria Köstlinger und Johannes Krisch ein Paar, das im Altersheim in der Abteilung für Demenzkranke gelandet ist. „In Rückblenden lernt man die Vergangenheit der beiden kennen: Das Schöne des Anfangs und den langsamen Verlust des Schönen“, erklärt Peter Turrini. Wenn sie einander mit zunehmender Vergesslichkeit Dinge vorwerfen, die sie gar nicht miteinander erlebt haben, kippt die Geschichte ins Komische. Tragisch bleibt die Perspektive: „Was bleibt von einem Menschen übrig, wenn nichts von einem übrig bleibt, weil man alles, was einen je ausgemacht hat, vergessen hat?“, fragt Turrini, der keine Interviews mehr gibt und sich auf das Schreiben konzentriert. Dazu Alexander Kubelka, der im Wochenrhythmus mit dem Dramatiker telefoniert: „Er hat tausende Ideen und nutzt jede freie Minute, um zu arbeiten“. Der „theatralische Fieberkopf“ funktioniert noch.

Schubert-Oper


„Jetzt fiebere ich der Uraufführung im Gärtnerplatztheater in München entgegen“, gesteht Peter Turrini in einem Aufsatz über seinen opernbegeisterten Vater. Der Text ist neben einer Beschreibung der Komponistin Johanna Doderer über ihre Zusammenarbeit mit Turrini in dem Libretto-Band „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ (suhrkamp spectaculum, 16,50 Euro) abgedruckt. Bis auf Weiteres bleibt, sich lesend an Turrinis gewohnt kraftvolle poetische Pranke zu halten, denn auch die Opern-Uraufführung ist abgesagt. „Selbstverständlich holen wir das nach, und wenn es ein halbes oder ein ganzes Jahr später sein wird“, bekräftigt Josef Ernst Köpplinger.

Josef E. Köpplinger, Intendant am  Staatstheater am Gärtnerplatz in München  will die Schubert-Oper im Spielplan der Saison 2020/2021 unterbringen
Josef E. Köpplinger, Intendant am Staatstheater am Gärtnerplatz in München will die Schubert-Oper im Spielplan der Saison 2020/2021 unterbringen © Helge Bauer

Stillstand in Bayern


Der Intendant, der am Gärtnerplatztheater die höchste Uraufführungsdichte im Bereich Musiktheater vorweisen kann, wollte gerade mit den szenischen Proben zur Schubert-Oper beginnen, als die bayerische Regierung dem einen Riegel vorschob. Erste Gespräche zwischen Josef E. Köpplinger, Peter Turrini und der Komponistin Johanna Doderer zu „Schuberts Reise nach Atzenbrugg“ gab es bereits 2015.
In dem etwa 40 Kilometer von Wien entfernten Ort war Schubert tatsächlich mehrmals mit seinen Freunden. Dort wurde gemeinsam musiziert, getanzt, gepicknickt und es wurden Spiele gespielt. Man hat dort wohl das steigen lassen, was man heute als Party bezeichnen würde.


Bei Turrini treten neben Schuberts „ersehnter“ Liebe Josepha von Weisborn die „rote Caro“ (eine Cellistin) und die Kunstpfeiferin Louise auf, zudem ein Chor der Kriegskrüppel und Schuberts Vater. In ihre Komposition hat Doderer die „Atzenbrugger Tänze“ eingearbeitet und auch Elemente anderer Schubert-Werke (etwa aus der „Wandererphantasie“ oder der „Winterreise“) mit ihrer eigenen Klangsprache verwoben.

Peter Turrini, 75: Der "theatralische Fieberkopf"  in seinem Arbeitszimmer im niederösterreichischen Kleinriedenthal
Peter Turrini, 75: Der "theatralische Fieberkopf" in seinem Arbeitszimmer im niederösterreichischen Kleinriedenthal © APA/WALTER SKOKANITSCH

Verschoben auf die nächste Saison

Seit einem Jahr beschäftigen sich die Sänger mit der schweren Partitur. „Ohne sie zu proben, wäre wie Malen ohne Farben“, sagt Köpplinger, der es als „nicht zwingend“ ansieht, „dass Kunst und Kultur die Letzten sind, die wieder hochgefahren werden“. Die Uraufführung der Schubert-Oper soll voraussichtlich in der Spielzeit 2020/21 am Staatstheater am Gärtnerplatz stattfinden.
Dass Köpplinger dann unter Umständen mit seinen anderen Verpflichtungen am Gran Teatre del Liceu in Barcelona und und an der Wiener Staatsoper ins Termin-Gwirks kommt, ist eine andere Geschichte: „Die Gesundheit geht vor. Und die Krise zeigt uns, wie das Selbstverständliche wertzuschätzen ist“, sagt er.