Für etwaige Proteste war man vorbereitet. Einige "Polis"-Wägen standen vor dem Eingang der Källarvägen 4 - dem Zuhause der Schwedischen Akademie in Stockholm. Aktivisten oder Demonstranten waren am Dienstagnachmittag aber keine zu sehen. Nur Adventmarkt-Besucher am hinreißenden Stortorget mit seinen schwedenroten Häuschen voller dampfenden Glöggs und Lakritzstangen vor der berühmten Kulisse bunter Barockhäuschen.

Vor dem Eintreten musste man seinen Vornamen nennen (wir sind in Schweden) und sein Medium, ein Security-Mann kontrollierte, ob man auf der Liste steht, und nachdem man seinen Presseausweis vorgezeigt hatte, durfte man in das Gebäude in Sichtweite auf das Schloss eintreten. Einen Stock höher wurde alles noch einmal kontrolliert und noch einen Stock höher nahm man im prunkvollen Raum mit golden verkleideten Wänden und unter Lustern Platz. Rund 70 Journalisten sollten es am Ende sein, die auf die Pressekonferenz mit Olga Tokarczuk, der Literaturnobelpreisträgerin von 2018, und Peter Handke, Literaturnobelpreisträger 2019, warteten. Die Scheinwerfer der Kameras (13 waren es) schwenkten probeweise, die Akademie machte zwei Tonproben. Je näher es an die 13 Uhr kam, desto stiller wurde es im Saal. Am Ende war es mucksmäuschenstill.

Das Setting in der Schwedischen Akademie
Das Setting in der Schwedischen Akademie © APA/AFP/JONATHAN NACKSTRAND

Auftritt, Peter Handke

Peter Handke war als zweiter an diesem Nachmittag dran. Jener Mann, der seit Bekanntgabe der Akademie polarisierte, kritisiert und verteidigt wurde und nicht nur Debatten, sondern auch Proteste auslöste. In schwarzem Anzug und grauem Hemd betrat er den Raum, mitsamt Übersetzerin. Auf den Verweis, dass er heute seinen 77. Geburtstag begehe, stimmte eine Journalistin spontan ein Geburtstagsständchen an, das mit einem vielstimmigen "Happy Birthday, Handke!" endete.

Hören Sie hier ein Audifile der Pressekonferenz:

Der Preisträger antwortete "Tack, tack". Das schwedische Wort für Danke hat er wohl in den letzten drei Tagen, in denen er schon in Stockholm weilt, gelernt. Seit den 1970ern sei er nicht mehr da gewesen. Er wird eingangs gefragt, ob er hier schon etwas in sein Notizheft geschrieben hätte. "Not really", gestand Handke, der großteils auf Englisch antwortet. Er erzählte von einer Skizze eines Rembrandts im National Museum, das er besucht hatte. Leichtes Einstiegsgeplänkel.

Um das harte Thema kreisen

Es folgt eine Aufwärmfrage einer Journalistin der "New York Times", die von ihm wissen möchte: Wie könnte dieser Preis Ihr Schreiben verändern?" Handke freut sich über die Frage: "Es wird sich sicher nichts verändern." Wer fängt nun mit den wichtigen Fragen an? So in etwa mutete die Stimmung im Saal an. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Dichter aus Kärnten ein Interview abgebrochen hätte oder das Gespräch in einem Wutanfall enden ließ. Alle sind also ein bisschen vorsichtig, abwartend. Handke wird über mehrere Ecken gefragt, wie er, der die Sprache so oft erfunden hätte, kaum eine für den Jugoslawienkrieg hatte.

"Es ist eine sehr lange Geschichte. Ich denke, es ist nicht der richtige Moment, diese Geschichte hier noch einmal zu erzählen", sagt Handke. Schluss. Frage umschifft. Das gelingt ihm zunächst. Wie er denn auf die angekündigten Proteste bei der Verleihung am Dienstag reagieren werde, fragte ein Journalist der größten schwedischen Tageszeitung "Dagens Nyheter": Er wisse es nicht, sagte Handke, verwies auf Proteste bei der Ibsen-Preisverleihung vor fünf Jahren in Oslo und seinen erfolglosen Versuch, mit den Demonstrierenden zu reden. Er setzte kurz ab und sagte dann in schärferem Ton: "Sagen Sie es mir! Vielleicht brauche ich Ihren Rat." Punkt. Mehr folgte nicht. Das Mikrofon wanderte weiter. Die Stimmung blieb angespannt.

Auftakt zum Abbruch

Nach einigen einfacheren Fragen nach neuen Projekten kam ein US-Journalist auf Srebrenica zu sprechen und Handkes Haltung in seinen Büchern. Da holte der Dichter Luft und sagte zunächst: "Ich mag ihre Fragen, können sie weiterfragen?" Die Antwort des Fragestellers: "Eine nach der anderen." Handke: "Fahren Sie fort". Auf so etwas schien der 77-Jährige vorbereitet zu sein. Er antwortete nicht. Danach holte er einen an ihn adressierten und auf Englisch verfassten Brief heraus. Er hätte, so Handke, in den letzten Wochen viele wundervolle und herzliche Briefe seiner Leserinnen und Leser erhalten. Und diesen einen, er holt ihn heraus, faltet ihn auf und liest vor: "Dear Peter". Er kenne den Verfasser nicht, aber dieser nenne ihn "Dear Peter" wundert sich Handke.

Dem Dokument sei benutztes Klopapier beigelegt gewesen,  "einer Art Kalligrafie von Scheiße", und der Verfasser habe ihm unter anderem das Ignorieren gesicherter Fakten vorgeworfen, auch mit dem amtierenden US-Präsidenten Donald Trump sei er verglichen worden. Handke las die im Brief geäußerten Vorwürfe vor. Danach sagte Handke, der Pressekonferenz offenbar überdrüssig geworden: "Ich bevorzuge Toilettenpapier, einen anonymen Brief mit Klopapier, gegenüber Ihren leeren und ignoranten Fragen." Als der Wortwechsel zu eskalieren drohte, beendete die Akademie die Pressekonferenz. Der Vorhang fiel, kurzer Schlussapplaus. Um es in der Theatersprache zu sagen.

Handke in Zitaten

"Ich schreibe nie mit einer Meinung. Ich hatte nie eine Meinung. Ich hasse Meinungen. Ich mag Literatur, nicht Meinung."

"Ich mag Grenzen, ich mag Grenzziehungen. Es hängt davon ab, welche." (Auf die Frage einer Journalistin, ob es Grenzen für Literatur gebe)

"In den letzten acht, neun Wochen habe ich viele wundervolle Briefe bekommen, die von den Herzen der Leser kamen. Leser von Literatur. Es waren viele, ich nenne die Zahl nicht. Aber nur einer war ein anonymer Brief, der nicht vom Herzen kam. Da war Toilettenpapier drin, das eine Art Kalligrafie von Scheiße hatte. Und ich sagen Ihnen allen , die hier Ihre Fragen stellen wie dieser Mann. Ich bevorzuge Toilettenpapier, einen anonymen Brief mit Klopapier, gegenüber ihren leeren und ignoranten Fragen. Ich nehme den Anlass wahr, um mich für diese wundervollen Briefe, die ich nicht beantworten konnte, zu bedanken. Das war eine wundervolle Sache."

"Sagen Sie es mir. Vielleicht brauche ich Ihren Rat. Ich erinnere mich an Oslo vor 4 oder 5 Jahren, als ich für den Ibsen-Preis dort war. Da waren viele Proteste, als ich zum Nationaltheater kam. Es wurde "Faschist" gerufen und ich bin stehengeblieben und wollte mit den Damen und Herren reden. Aber sie wollten nicht mit mir reden. Also weiß ich nicht, was ich tun soll. Es war kein Dialog möglich."
(Auf die Frage eines Journalisten, wie er, Handke, auf die Proteste gegen ihn reagieren wolle)

"Ich hatte vielleicht eine idealistische Idee, die aber nicht real ist."
(Auf die Frage eines Journalisten, wie es um seine angekündigte Geste der Versöhnung bestellt sei.)


"Das ist eine sehr lange Geschichte und um sie hier wieder zu erzählen, ist nicht der richtige Moment."
(Auf die Jugoslawien-Debatte angesprochen)

"Überhaupt nicht, da bin ich mir sicher. Ich bin nie sicher, aber in dieser Sache schon. Ich mache weiter, wie ich begonnen habe, durch das Leben zu reisen."
(Ob sich das Schreiben nach dem Preis verändern wird)

"Ich will keine Ihrer Fragen beantworten. Meine Leute sind Leser, nicht ihr."
(Als Abschiedsgruß an die versammelten Journalisten.)

Olga Tokarczuk bei der internationalen Pressekonferenz
Olga Tokarczuk bei der internationalen Pressekonferenz © AP

Da war ja noch etwas

Vor diesem dramaturgisch interessanten und packenden Presse-Akt war die zweite Literaturnobelpreisträgerin an der Reihe gewesen: die Polin Olga Tokarczuk, die auf Polnisch antwortete. Der anwesende Übersetzer antwortete nicht unholprig auf Englisch. Die 57-Jährige hatte davor schon verlautbart, einen großen Teil ihres Preisgeldes über eine Stiftung kulturellen Projekten, Autoren und Übersetzern und Organisationen, die sich um Menschen- oder Tierrechte kümmern, zukommen zu lassen. Polnische Journalisten fragten sie auch nach der Situation in ihrem Heimatland, ein Reporter der lokalen Tageszeitung der schwedischen Insel Gotland, wo Tokarczuk eine Zeit lang gelebt hatte, fragte sie, ob sie wieder einmal dort leben möchte. Und eine Reporterin des schwedischen Fernsehens befragte sie zur Tatsache, dass sie insgesamt erst als 15. Frau (und insgesamt erst als 4. Person aus Polen) den Literaturnobelpreis erhalte. Ihre Antwort: "In Zukunft werden es mehr Frauen sein". Nach nur 18 Minuten war Tokarczuks Part zu Ende.