Mit der Hand schreiben macht schlau, ist der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband überzeugt. Durch die Motorik des Schreibens lassen sich die Inhalte besser merken, heißt es aus München anlässlich des heutigen Tags der Handschrift. Das langsame Führen des Schreibwerkzeugs über das Papier ermöglicht das Nachdenken und Ausformulieren, während man beim Tippen so manchen Gedanken erst während des Schreibens entwickelt.

Schreiben hilft beim Denken. Das wird indirekt auch von einer US-Studie (Princeton, 2014) bestätigt, für die zwei Studentengruppen einen Vortrag protokollieren sollten. Die Kugelschreiber-Mitschriften waren dabei der Laptop-Gruppe überlegen, weil Zusammenhänge besser verstanden, vieles in eigenen Worten ausgedrückt, ausgewählt und zusammengefasst wurde. Fazit: Das Schreiben mit der Hand hilft beim Verstehen und trainiert das Hirn. Nicht zufällig spricht man vermutlich im Deutschen vom Be-greifen und Er-fassen – Bewegungen, die wohl mehr mit der Handschrift als dem Tippen zu tun haben. Auch Hirnforscher Manfred Spitzer von der Universität Ulm beschäftigt sich in seinem Buch „Digitale Demenz“ mit den Folgen des Rückgangs des händischen Schreibens. Motorische und kognitive Fähigkeiten für sein Leben erlerne der Mensch schon in der Kindheit durch das Praktizieren einer Handschrift. Ohne diese Übung bleibe das Gehirn meist hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Verkümmert also die Schrift, verkümmert auch das Denken; verkümmert das Denken, verkümmert die Sprache. Doch in Deutschland und der Schweiz wird die auch lateinische Schrift genannte, durchgehende Schreibschrift nur mehr nach Ermessen der Lehrer unterrichtet. Heimische Kulturpessimisten sollten allerdings die Handschrift mit Füllfeder und Bleistift noch nicht völlig abschreiben. In Österreich steht, laut Rückfrage der Kleinen Zeitung beim Bildungsministerium, „die Abschaffung der Handschrift nicht zur Debatte“. Demnach wird nach wie vor die Schulschrift (von 1995 oder 1969) in den Volksschulen gelehrt. Und die Kinder? Die sind inzwischen längst zu Experten in Sachen elektronische Kommunikation geworden. Da wird in die Tasten gehaut, was das Zeug hält, oft nur mit einem Finger und bar jeder Orthographie, doch geschrieben wird quer durch die Generationen so viel wie nie zuvor! Der Entwicklungssprung vom Kritzeln erster Zeichen im Kindergarten zum Tippen auf einem Keyboard ist fließend. Wohin man schaut, überall wird gewischt, getippt, geklickt; Bloggen, Twittern, Posten, Chatten, Mailen heißen die wichtigen Fertigkeiten von heute.

Seine Identität im Internet kann man sich nur erschreiben, genauer ertippen. Das Schreiben per Hand scheint daher immer mehr zur verschwindenden Kulturtechnik zu werden, zur Nischenfähigkeit, zum Hobby. Wer macht sich heute schon die Mühe, einen Brief per Hand zu schreiben? Wer Gefühle ausdrücken will, greift aber auch im 21. Jahrhundert noch lieber zu Tinte als zur Taste. Liebesbriefe etwa haben immer Saison – trotz oder vielleicht auch wegen SMS und WhatsApp. Und was wäre die Literatur ohne die berührenden Briefwechsel, die gerade durch den „Datenträger“ Papier erhalten geblieben sind? Elektronische Post, durch ein Textverarbeitungsprogramm gejagt und bald wieder gelöscht, vermittelt nie so stark Authentizität wie eine Handschrift. Schnelligkeit und Effizienz der Kommunikation sind die meistgenannten Vorteile der Digitalisierung.

Doch auch gegenwärtig sitzt manch einer ungeduldig vor dem Monitor und hofft sehnsüchtig auf elektronische Antwortpost, so wie man einst den Briefträger kaum erwarten konnte. Die Schriftsteller sind es, die das Überleben der Handschrift garantieren. Nicht nur einst Thomas Mann und Marcel Proust schrieben ihre Werke mit der Hand. Auch zeitgenössische Autoren wie Josef Winkler verfassen oft ihre Texte zuerst mit der Hand, bevor sie sie für weitere Fassungen abtippen. Es ist das Haptische, die Bewegung. Die Zeit, die man sich nimmt, um einen Gedanken zu formulieren, lässt Autoren zum Stift greifen. Außerdem sind Papier und Feder überall schnell einsatzbereit. Auch wenn es immer öfter ein Tablet statt einer Tafel ist, worauf geschrieben wird, und das Firmungsgeschenk Füllfeder schon nach dem ersten Dankesschreiben ausgedient hat – um Kinder zu mündigen Usern und denkenden Menschen zu erziehen, braucht es inzwischen wohl beides – Taste und Tinte.