Romeo Castelluccis Inszenierungen ganz entschlüsseln zu wollen, alle ihre Geheimnisse zu lüften, ist ein sinnloses Unterfangen, und wohl auch kaum im Sinne des Erfinders. Die Vieldeutigkeit dieser Rätselbilder widersetzt sich der üblichen Neigung, alles verstehen zu wollen, alles zu verarbeiten, um es danach abheften zu können. Castelluccis Szenen provozieren vielmehr ein permanentes, nicht abzuschließendes Assoziieren, vielleicht sind sie sogar eine Hinführung zum absichtslosen Hören und Schauen, Staunen und Fühlen. Damit sind die Regiearbeiten des Italieners auch eine Erinnerung an das offene, potenziell unerschöpfliche Wesen der Kunst. Bei dem 2017 für die Münchner Staatsoper entstandenen und nun neu einstudierten "Tannhäuser" gibt es Amazonen, die zur Ouvertüre Pfeile in das Bild eines Auges jagen, ein rotes Band, wie eine frei im Raum hängende Ader oder Nabelschnur, dutzendweise herumliegende Nachbildungen menschlicher Füße und dergleichen. Natürlich sind diese Bildfindungen nicht beliebig, sondern legen Spuren ins Werk: der Kontrast zwischen der obszönen Fleischlichkeit im Venusberg und den ritualisierten Bräuchen des Männerbundes auf der Jagd und in der Wartburg, der Goldhaufen, den die Pilger durch die Gegend tragen und die Aufhebung von Zeit und Raum, die im letzten Akt exerziert wird. Irgendwann in der Unendlichkeit vermischt sich die Asche von Tannhäuser/Jonas und Elisabeth/Marlis, die Trennung zwischen Interpret und Rolle aufhebend. Das ist Verbindung mit der Musik, unfassbar ergreifend, zeigt aber erneut, dass Romeo Castellucis Bildwelten zum Pathos neigen, wenn sie zu eindeutig angelegt sind, auch weil sein Leibthema Vergänglichkeit einem kitschig werden kann.

Zumindest im ersten und dritten Akt gibt es unvergessliche Momente im Festspielhaus, im zweiten strapaziert das Statuarische der Inszenierung die Geduld auch des gutwilligsten Beobachters. Viel Geduld braucht man indes auch für das Dirigat von Andris Nelsons. Der fremdelt offenbar mit dem Charakter des "Tannhäuser" als romantischer Oper, bleibt ihren virtuosen Glanz und dramatische Pracht weitgehend schuldig. Vor allem das Drama nimmt Nelsons komplett aus der Gleichung. Einen so behäbigen Zeitlupen-"Tannhäuser" hat man selten je gehört. Natürlich lassen da manche kammermusikalischen Zartheiten und fein modellierten Piani aufhorchen, aber wie Nelsons und das Leipziger Gewandhausorchester Wagner in aller Breite zelebrieren, wirkt, als würde man der Musik beim Schmelzen zusehen müssen.

Dass Christian Gerhaher als Wolfram es zuwege bringt, selbst beim zerdehnten "Abendstern" die Spannung aufrecht zu halten, ist eines der vokalen Wunder des Abends, die meist auf die Rechnung des deutschen Baritons gehen. Liedhaft, edel phrasiert, aber mit enormen vokalen Expansionsmöglichkeiten liefert Gerhaher ein ausgefeiltes Porträt eines verlorenen Charakters. Nur Georg Zeppenfelds Landgraf Herrmann reicht an dieses außerordentliche Niveau heran.