Als Sie 2012 "Blackout" geschrieben haben, hat kaum jemand über das Thema gesprochen, mittlerweile ist es in aller Munde. Es ist schon erschreckend, wie schnell Zukunftsszenarien Gegenwart werden können. Werden demnächst alle über Geoengineering sprechen?
MARC ELSBERG: Ich wundere mich eher, dass sie es jetzt noch nicht tun. Was den wenigsten Leuten bewusst ist: Die Klimaziele sind nicht mehr zu erreichen, auch wenn wir all jene Maßnahmen durchführen, über die ständig diskutiert wird, wie der Ausstieg aus der Massentierhaltung oder eine Umstellung des Verkehrs. Es muss zusätzlich eine Menge CO₂ entfernt werden, ungefähr ein Drittel der Erwärmung muss durch technologische Mittel gebremst werden, und da ist es nur eine Frage der Zeit, dass das konkret angegangen wird. Das, was in meinem Roman China macht, wird schon länger diskutiert und wäre möglich.

In Ihrem Roman spannt China in der Stratosphäre einen "Rettungsschirm" auf, eine Partikelschicht soll für Abkühlung sorgen. Wie realistisch ist so ein Szenario?
Es gibt Vorbilder: Vulkanausbrüche haben mit dem Ausstoß von Asche und Gasen schon mehrfach für eine Abbremsung der Erwärmung gesorgt. Und es wäre eine vergleichsweise billige Methode, ein paar Milliarden im Jahr würden dafür reichen, das könnten sogar superreiche Einzelpersonen finanzieren. Es gibt auch andere Überlegungen, riesige Spiegel im Weltraum zwischen Erde und Sonne etwa. Manches wird in kleinem Rahmen schon gemacht, etwa wenn man Unwetter bekämpft, indem man Wolken abschießt, oder umgekehrt im arabischen Raum versucht, Wolken zu erzeugen, damit es regnet. Australien hat damit experimentiert, durch Wolkenbildung über dem Great Barrier Reef das Korallensterben zu stoppen. Würde man so etwas im globalen Maßstab machen, zum Beispiel die Wolkenbildung über den Meeren verstärken, damit sie die Sonne reflektieren, dann hätte man auch Geoengineering.

Waren diese Versuche der Ausgangspunkt Ihres Buches?
Eine Ausgangssituation waren die unendlichen Diskussionen, weil es immer noch Menschen gibt, die den Klimawandel bezweifeln oder zumindest überzeugt sind, dass sich die Menschheit nur anpassen muss. Was aber heißt, dass immer mehr Klimaflüchtlinge nach Europa kommen.

In Ihrem Roman schließen sich die Staaten des globalen Südens zusammen, um selbst etwas gegen die Erderwärmung zu unternehmen. Dabei entsteht eine politisch heterogene Allianz ...
... ja, aber wir sehen ja schon heute, dass nicht wenige Staaten des globalen Südens bei den Sanktionen gegen Russland nicht mitmachen. Allianzen gibt es also eigentlich schon, und so ist es nicht ganz absurd, dass irgendwann die Menschen dort sagen: Jetzt reicht es uns, wir schließen uns zusammen und überlegen uns gemeinsam eigene Maßnahmen.

Haben Sie bei Ihren Recherchen eine Antwort auf die Frage gefunden, wie die Wende in Sachen Klima doch noch gelingen könnte?
Einfach, indem man Tempo macht und das notwendige Geld hineinsteckt. Es wäre ja da, wir haben schließlich auch Unsummen für die Pandemie ausgegeben. Man muss es nur wollen. Ich bin Jahrgang 1967 und habe schon ähnliche Krisen miterlebt: den sauren Regen, das Ozonloch. Damals wollte die Politik tatsächlich noch Probleme lösen und hat Maßnahmen gesetzt. Der saure Regen und die sterbenden Wälder waren binnen einiger Jahre Geschichte, das Ozonloch war binnen einiger Jahre gestopft. Nur jetzt geht nichts weiter.

Verstehen Sie da die jungen Menschen, die sich für das Klima auf Straßen festkleben?
Die Wut und das Engagement der jungen Menschen ist verständlich. Was diese allerdings nicht bedenken: Indem sie die normalen Bürger behindern, machen sie sich zu Erfüllungsgehilfen der Öl- und Gasindustrie. Denn die weiß natürlich seit Jahrzehnten, was da droht und hat einen besonders klugen Kommunikationsstreich gelandet: 2004 veröffentlichte BP einen Rechner für den persönlichen CO₂-Fußabdruck. Ich war damals selbst noch in der Werbung tätig und fasziniert davon, wie geschickt sie uns die Misere umgehängt haben. Gegen die Öl- und Gasindustrie müssten sich die Proteste richten, nicht gegen die einzelnen Autofahrer.

Fahren Sie selbst viel Auto?
Nein, ich fahre sehr wenig Auto, meistens bin ich mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Aber ich wohne in Wien, und das ist das Privileg des Großstädters. Wenn man auf dem Land lebt, ist das viel schwieriger. In Wahrheit muss die Politik über Mobilitätskonzepte nachdenken und darüber, ob man eine Landschaft zersiedeln muss und jeder seine eigene Hütte und dann auch ein eigenes Auto benötigt. Aber dafür braucht es auch den Mut der Politiker, darüber zu diskutieren.

Einen "Blackout" hat es noch nicht gegeben, aber Ihr Roman "Zero" über die Beeinflussung von Wahlen durch Social Media wurde von der Wirklichkeit eingeholt. Ist Ihnen das nicht selber unheimlich?
Das ist ja nicht nur mit "Zero" passiert. In "Helix" geht es um Genetik, und kurz darauf sind in China die ersten gentechnisch veränderten Kinder geboren worden. Und in "Gier", das im Frühjahr 2019 erschienen ist, ist die Welt infolge einer Wirtschaftskrise in Aufruhr. Jetzt wäre es schön, wenn auch "Der Fall des Präsidenten" noch Realität werden würde, denn darin geht es ja darum, dass ein Präsident sich für Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof verantworten muss. In meinem Buch ist es der US-Präsident, aber ich habe damals schon wegen der Krim-Annexion und Tschetschenien überlegt, ob ich nicht den russischen Präsidenten nehmen sollte. Das schien mir damals zu platt. Jetzt würde ich mich freuen, wenn Putin sich verantworten müsste.