Es begann in Paris, mit Küssen zwischen Gemüsekisten und blutigen Metzgerschürzen; es endete fünf Jahre später im Chaos, in der Verzweiflung, im gegenseitigen Schuldzuweisen. Dazwischen liegt ein hochemotionaler Ringkampf, der jetzt Literaturgeschichte schreiben wird. Fast 50 Jahre nach ihrem Tod, haben die Geschwister von Ingeborg Bachmann der Veröffentlichung ihres Briefwechsels mit Max Frisch zugestimmt.

Bachmann selbst hatte sich eine Publikation vehement verbeten: „Damit niemand ein Schauspiel hat eines Tages.“ Was jetzt in dieser Korrespondenz nachzulesen ist, ist ein ebenso atemberaubendes wie faszinierendes Trauerspiel; anfangs noch ein Turteln, Tuscheln und leidenschaftliches Toben, zunehmend ein Zetern, Zerren und verzweifeltes Zischen, gegen Ende hin dann ein Winden, Winseln und explosives Wüten. Das berühmteste Schriftstellerpaar der Nachkriegszeit blieb einander nichts schuldig und war einander ebenbürtig – im Guten wie im Schlechten.

Als sich die Wege von Bachmann, damals 32, und Frisch, 47, kreuzten und sie bald auf den Inbegriff einer Amour fou zusteuerten, waren beide bereits Popstars der Literatur. Bachmann hatte 1956 ihren hochgelobten Lyrikband „Anrufung des großen Bären“ veröffentlicht, Frisch war mit den Romanen „Stiller“ (1954) und „Homo Faber“ (1957) höchst erfolgreich. Aus der gegenseitigen beruflichen Bewunderung entstand auch der erste Briefkontakt.

Bachmann schlug ein Treffen in Zürich vor, das dann aber nicht zustande kam. Erst in Paris, Bachmann hatte sich erst kurz davor von Paul Celan getrennt, dann die persönliche Begegnung, die sich bereits innerhalb weniger Tage zu einem Gefühlsfuror entwickelte. Frisch zeigt sich „glücklos und ratlos“, schreibt darüber, dass Bachmann als „langgefürchteter Engel“ in sein Leben trat, Bachmann wiederum drängt zur raschen Liebesentscheidung: „Ja oder Nein?“

Mehr als 1000 Seiten dick ist dieser sorgsam edierte und einbegleitete Band, dessen Titel aus einem Frisch-Brief stammt: „Wir haben es nicht gut gemacht.“ Es sind Liebesbriefe, Leidensbriefe, Trennungsbriefe. Es ist das Protokoll einer Beziehung, die man heute mit dem Universaletikett „toxisch“ versehen würde. Der Klassiker schlechthin: Man konnte weder mit- noch ohne einander. Und weil Ingeborg Bachmann und Max Frisch nicht nur Ohnmächtige der Liebe waren, sondern auch Mächtige des Wortes, sind diese Briefe – zumindest zum Gutteil – auch große Literatur.

Mutmaßungen, Gerüchte, Geheimnisse über diese Briefe mäandern seit Jahrzehnten durch die Literaturlandschaft. Und auch eine Rollenverteilung hat sich festgeschrieben: Hier Ingeborg Bachmann, die filigrane, verletzliche, hypersensible Schmerzensfrau, die zur mystischen Kranken stilisiert wurde, der letztendlich tödliches Leid zugefügt wurde. Dort Max Frisch, der skrupellose Egomane, der frauenfressende Blaubart, der kalt berechnende Biedermann, der als Brandstifter der Beziehung Schuld an der seelischen Zerrüttung Bachmanns trägt.

Diese Dämonisierung Frischs und Idealisierung Bachmanns muss nach der Lektüre des Briefwechsels korrigiert werden. Im berühmten „Venedig-Vertrag“ aus dem Jahr 1960 hatte sich das Paar unter der Bedingung, dass das Herz nicht involviert ist, gegenseitig erotische Side-Steps zugestanden. Davon machte nicht nur Frisch Gebrauch. Und die endgültige Trennung ging letztendlich in der Neujahrsnacht 1962/63 auch von Bachmann aus. Ein gütliches Auseinandergehen, wie von Frisch vorgeschlagen, schlug sie aus.

Was war Wirklichkeit, was Hysterie, was literarische Überhöhung? Diese Frage wird auch nach der Veröffentlichung des Briefwechsels nicht zu beantworten sein. Spürbar ist jedoch, dass hier zwei verzweifelt Liebende und Schreibende am Werk waren, die aus der privaten Passion – ob bewusst oder unbewusst – ihre Kunst destillierten. Dass sie ein Unheil füreinander sind, hat Max Frisch früh erkannt. Rund zehn Jahre nach dem Ende der Beziehung kam Ingeborg Bachmann unter tragischen Umständen in ihrer Wohnung in Rom ums Leben. Ihr Gedicht „Ihr Worte“ endet so:
„Kein Sterbenswort,
Ihr Worte!“

© kk

Buchtipp: Ingeborg Bachmann/ Max Frisch. Wir haben
es nicht gut gemacht. Der Briefwechsel. Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langre, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann. Piper, Suhrkamp, 1059 Seiten, 41,20 Euro. Erscheint am Montag, 21. November.