Gerade hat das Volkstheater Wien die ersten 100 Tage der ersten vollen Saison unter der Intendanz von Kay Voges mit einem schnittigen Video und einigen Zahlen gefeiert. "Mit 11 Premieren, 185 Veranstaltungen, 10 Konzerten, 1 Festival und 1 Gastspiel in Moskau hat das Volkstheater an insgesamt 70 Spieltagen seine sechs Spielstätten bespielt und dem Publikum wunderbare Theatermomente beschert." Weniger wunderbar ist die Auslastung dieser Zeit: Sie liegt bei 45,55 Prozent.

"Das ist natürlich eine Katastrophe", gibt Voges im Interview mit der APA zu. "Es war wirklich nicht einfach. Der September hat sehr zögerlich begonnen." Nur 37 Prozent Auslastung und Premieren, in denen gerade einmal 300 Besucher gezählt worden, ließen die Alarmglocken läuten. "Immerhin hatten wir dann bei der vierten Vorstellung der 'Drei Schwestern' einen Besucherzuwachs. Das heißt, die Mundpropaganda hat funktioniert", sagt der Direktor. Im Oktober waren es 41 Prozent, während es im November endlich aufwärtsging und man vor dem neuerlichen Lockdown - auch dank zweier ausverkaufter Turbobier-Konzerte - bei 69 Prozent landete.

Insgesamt fanden in der laufenden Saison rund 16.000 Menschen in die Spielstätten des Volkstheaters. "Das ist natürlich alles andere als ausreichend und nicht zufriedenstellend", sagt Voges. Das Gefühl, komplett bei Null zu starten, hatte man auch beim Abonnenten-Stand. "Wir haben in den vergangenen 18 Monaten unfassbar viele Abonnenten verloren. Wir hatten gehofft, den Stand von 2500 Abonnenten - was auch schon sehr dünn war - aus 2018/19 übernehmen zu können. Im September hatten wir, nach Sanierung und Lockdowns, aber bloß 250 Abonnenten. Das heißt, wir haben beim Kartenverkauf nicht wie andere einen Sicherheitspolster, auf dem wir aufbauen können."

"In meiner Ursachenforschung bin ich auf drei Thesen gekommen", sagt Voges. "Die Pandemie hat viele Menschen überhaupt davon abgehalten, ins Theater zu gehen. Alle müssen jetzt ihr Publikum zurückgewinnen. Zweitens hat man das Volkstheater mit der Zeit vergessen - viele haben ja kaum mitbekommen, dass wir wieder offen sind. Und schließlich war das Framing des Hauses nicht positiv: Da sind viele negative Vorurteile im Umlauf. Vielen gelten wir als das Sorgenkind der Theaterlandschaft. Dem Haus eine neue, positive Erzählung zu geben, wird meine Hauptaufgabe in den kommenden Monaten sein."

Aufsperren wird das Volkstheater erst am 7. Jänner. Dieser Entschluss hat Aufsehen erregt. "Als wir - der kaufmännische Geschäftsführer Cay Stefan Urbanek und ich - am 28. November in Absprache mit unserem Vorstand diese Entscheidung getroffen haben, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Vorher waren wir immer getrieben. Es war die reinste Flickschusterei. Ich möchte aber nicht Notstandsverwaltung machen, sondern Theater gestalten für die Stadt. Endlich haben wir nicht reagiert, sondern agiert. Künstlerisch, dispositionell und wirtschaftlich war es das Verantwortungsvollste, das wir machen konnten. Wir haben eine personelle und finanzielle Sorgfaltspflicht. Wenn wir die nicht wahrnehmen, laufen wir Gefahr, in die Roten Zahlen zu rutschen. Deshalb haben wir auch das Angebot der Kurzarbeit in Anspruch genommen, um eine wirtschaftliche Schieflage zu vermeiden."

Denn allzeit bereit sein wieder aufzusperren, wie es bei vergangenen Lockdowns der Fall war, ist teuer - und der finanzielle Polster ist auch durch die geringen Erlöse gleich Null. Voges verweist auf die neuerliche Entschuldung des Theaters in der Josefstadt: "So weit wollen wir es nicht kommen lassen. Wir wollen diese Saison verlustfrei überstehen."