Denn er wusste ganz genau, was er tat, und wollte das auch seinen Lesern offen kundtun: „Illustre Dichter haben seit langer Zeit schon die blumigsten Provinzen im Reiche der Poesie unter sich aufgeteilt. Es schien mir vergnüglich und umso genehmer als die Aufgabe die schwierigere war, die Schönheiten des Bösen zum Vorschein zu bringen.“

Diese Zeilen wollte Charles Baudelaire 1857 ursprünglich seinen „Fleurs du mal“, seinen Blumen des Bösen, mit auf den Weg geben, später hat er sie wieder gestrichen. Jenem damals skandalträchtigen und bis heute fast ikonenhaft verehrten Gedichtband also, mit dem sich der Franzose tief in die Literaturgeschichte einpflanzte und seinen Ruf als (Mit-)Begründer der Moderne zementierte.

Einer Moderne freilich, der Baudelaire äußerst skeptisch gegenüberstand und deren Abgründe und Auswüchse eben der Humus für seine poetische Blumenzucht waren: das Elend der Großstadt, die Prostitution, die Armut, die Opiumhöhlen, die bunten Warenwelten und künstlichen Paradiese. Baudelaire hat sich dieser Welt radikal zugewandt, sich ihr gestellt, in ihren Gedärmen gestochert und das Hässliche ans Tageslicht befördert.

Nicht der weltabgewandte Schöngeist war hier am Wort, sondern der blutbefleckte Gerichtsmediziner, der mit einem reichen Bildervorrat eine Autopsie des Bösen, des Leidens, der Gier, aber auch von Schuld und Sühne vornahm. Doch das Hässliche, Abgründige, Versiffte und Verbrecherische ist in kunstvolle, architektonisch sorgsam zusammengefügte Gedichte gekleidet, die eine ungeheure Schönheit und Erhabenheit ausstrahlen. Das mag auch der Grund für die unwiderstehliche Anziehungskraft sein, die diese Lyrik bis heute ausübt.

Der anrüchige Dandy

Stechender Blick, schwarzer Umhang, schwarzer Anzug, weißer Kragen. Charles Baudelaire wusste sich selbst zu inszenieren, die Aura des Exzentrikers hat ihn umgeben. Der anrüchige Dandy, der geheimnisumwitterte „Satansjünger“ und Pornograf. Ein effektvoller, aber wohl nicht sehr angenehmer Mann, der sich vor den Massen ekelte, den vermeintlichen „bon sens“ verabscheute und den Lebensüberdruss zelebrierte. Ein Mann – ständig berauscht und knapp bei Kasse – voll Widersprüche und Widerhaken: Revolutionär, Reaktionär, Libertin, Auserwählter; ein buntes Rollenfach, das heute etwa ein Michel Houellebecq perfekt beherrscht.

Bevor Baudelaire seine berühmt-berüchtigte Gedichtsammlung veröffentlichte, war er hauptsächlich als Kunstkritiker, Kommentator und vor allem als Übersetzer des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allen Poe tätig. Dessen Phantasmagorien und der – im Grunde romantische – Wunsch, das Sein durch das Unheimliche zu erweitern, waren für Baudelaire ohne Zweifel eine wichtige Inspirationsquelle.

Die „Blumen des Bösen“ können aber auch als Zeugnisse des Verlustes gelesen werden. Baudelaire wurde in eine Epoche der Entzauberung hineingeboren mit Protagonisten wie Charles Darwin, Karl Marx, Sigmund Freud. Alte Gewissheiten sind zerbröckelt, neue waren nicht in Sicht. Und in der Lyrik Baudelaires spielten nicht mehr Götter und Musen die Hauptrollen, sondern Krankheit, Wahnsinn, Laster.

Die „Fleurs du mal“ erschienen am 25. Juni 1857, und kaum drei Monate später waren die Sittenwächter am Wort. Wobei Baudelaire die Ehre zuteilwurde, denselben Staatsanwalt vor sich zu haben wie zu Anfang des Jahres Gustave Flaubert. Diesem war wegen seines Romans „Madame Bovary“ und der angeblich darin enthaltenen Rechtfertigung des Ehebruchs der Prozess gemacht worden.

Flaubert wurde freigesprochen.Gegen Baudelaire wurde zwar die Anklage wegen Blasphemie fallen gelassen, aber um die „öffentliche Moral“ zu wahren, musste er sechs Gedichte streichen. Beißende Ironie des Schicksals: Zehn Jahre später, im Alter von nur 46 Jahren, erlitt Charles Baudelaire einen Tod, der aus seinen „Blumen des Bösen“ stammen könnte: gelähmt, sprechunfähig, betreut nur von der verhassten Mutter.

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Buchtipps: Charles Baudelaire. Die Blumen des Bösen.
Neu aus dem Französischen übersetzt von Simon Werle.
Verlag Rowohlt, 528 Seiten, 39,10 Euro.


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Charles Baudelaire. Der Spleen von Paris. Herausgegeben und neu übersetzt von Simon Werle. Gedichte in Prosa und frühe Dichtungen. Rowohlt, 512 Seiten, 41,20 Euro.