Die Verwandlung der Marlene Nader war im Grunde schon ihrem Künstlernamen „Mavi Phoenix“ vorgegeben. „Mavi“ wäre der weibliche Vorname ihres Bruders gewesen, die Bedeutung des Phoenix als Symbol der Erneuerung gefiel der gebürtigen Linzerin ebenfalls. Vielleicht spürte Nader bereits damals, dass der Künstlername eine Art Platzhalter sein musste für das spätere Outing. Im Vorjahr schließlich machte die heimische Künstlerin, die bis zu diesem Zeitpunkt mit einer Handvoll Songs ein popmusikalisches Inferno in halb Europa entfachte, im Video zum Lied „Bullet in My Heart“ den Wunsch publik, künftig als „Er“ angesprochen zu werden. Viele wollten sein wie sie, außer er.

MAVI PHOENIX:Vor zwei Jahren dachte ich mir: So, das ist es jetzt? So willst du leben? In einer Kurzschlussreaktion hab ich Freunde und Verwandte angerufen und ihnen erzählt, dass ich im falschen Körper geboren bin. Dass ich eigentlich ein Mann bin. Keine Ahnung, wieso ich so lange damit gewartet habe. Ich dachte anscheinend, dass sich noch etwas ändern wird.

Heute ist Mavi Phoenix ein Mann, ein „Er“. Ein „Bua“, wie er selbst sagt. Der Phoenix hat seine Wiederauferstehung als Transgender gefeiert. Die Veränderung vollzieht sich vor allem an der Oberfläche.

PHOENIX:Es geht um relativ banale Dinge. Um das Auftreten zum Beispiel. Ich will einen anderen Körper haben, möchte weniger Haare am Kopf und mehr am Körper.

In der vergangenen Woche legte der österreichische Sänger und Rapper sein Debütalbum „Boys Toys“ vor. Dabei hielt Phoenix bisher stets einen Sicherheitsabstand zum Format der Langspielplatte ein. Doch nach dem Outing war ein Seelenprotokoll nötig.

PHOENIX:Ich habe viele eigentlich gute Songs verworfen. Sie haben nicht das widergespiegelt, was sich in meinem Kopf getan hat. Es fehlte an Substanz. Das Album sollte impulsiv wirken und aus dem Moment kommen. Das Thema, das ich auf der Platte behandle, hat mein letztes Jahr bestimmt. Das hatte eine gewisse Dringlichkeit. Ich habe für mich beschlossen, wenn ich mit Mavi Phoenix weitermache, muss ich in mir drinnen komplett aufräumen. Sonst hätte ich die Musik an den Nagel hängen können.

„Boys Toys“ erinnert an einigen wenigen Stellen nach wie vor an die „alte“ Mavi, deren Hits wie Spätsommercocktails in die Ohren flossen – gedimmt melancholisch und lichterloh ekstatisch. Der Großteil des Albums fühlt sich aber eher wie eine Achterbahnrutsche ins Wechselbad der Gefühle an.

PHOENIX:Ich finde, es ist kein tieftrauriges Album. Ja, es ist auf jeden Fall melancholisch, das beschreibt die Musik gut. Neulich hat mir jemand geschrieben, er könne meine Musik nicht hören, weil er davon depressiv wird. Es kann meines Erachtens aber schon einmal ein bissl unangenehm sein. Das Ergebnis ist ein Coming-of-Age-Album. Man merkt, dass sich in mir etwas tut.

Das Debütalbum ist verspielt und reif gleichzeitig. Auf dem Lied „Family“, das an ein Wiegenlied erinnert, malt Mavi sich die Möglichkeit des Vaterseins aus. Auf „Choose Your Fighter“ gibt er sich in Electro-Punk-Manier aufmüpfig-testosterongeladen, auf „Strawberry“ wiederum hat er keine Scheu vor einem zuckrigen Liebeslied. Das Album fungiert und funktioniert auch als Anprobekabine verschiedener Männerrollen.

PHOENIX:Ich war lange der Meinung, dass Geschlechter egal sind. Ich sagte mir, dass es ja wurscht ist, dass ich weiblich bin, obwohl ich ein Mann bin. Aber ich hab gemerkt, dass es doch wichtig ist. Sonst würde ich mein Geschlecht ja auch nicht ändern.

Heute ist Mavi Phoenix weniger Kunstfigur als früher. Sein Debütalbum spielt mit der Katharsis. Mit der Angst, dem Träumen und der Wut als Transgender-Mann. Damit wirft Mavi sein bisheriges Image über Bord. Phoenix ist nicht mehr die lässige, undurchschaubare Rapperin mit Hang zum Pop. Mavi, der sich mittlerweile Marlon nennt, ist zerbrechlich. Er kämpft mit seinen Dämonen, auf und abseits der Bühne. Wo andere besonders sein möchten, möchte er „durchschnittlich“ sein. Bei den letzten Auftritten vor Corona rappte Marlon vor einem riesigen Plakat. Darauf zu lesen: „I’m just your average guy“.

PHOENIX:Vorher war ich ein Typ, der getan hat, als wäre er eine Frau. Ich denke, das war auch das, was mich in den Augen anderer besonders gemacht hat. Man fand mich cool, meinen Style. Dabei wollte ich nur möglichst unweiblich sein. Das sagt auch viel über eine Gesellschaft aus. Mit den neuen Songs hat sich auch mein Auftreten verändert. Auf der Bühne zu stehen, ist wie eine Therapie für mich. Ich lass viel mehr raus.

Die Verwandlung zum Mann erfolgt schrittweise. Auf seinem Debüt entführt Phoenix wohl bewusst in die Kindheit. „When I Was Young I felt myself“ rappt er auf dem Song „Fck it up“. Man hört eine quietschend-junge Alter-Ego-Stimme. Mavi/Marlon erlebt einen Reifeprozess auf mehreren Ebenen.

PHOENIX:Dieser Prozess hin zum Mann verläuft langsam. Man bekommt Zwangswartezeiten. Aber das ist ja auch voll okay. Ich kann ohnehin nicht von heute auf morgen ein erwachsener Mann sein. Ein Stück weit erlebe ich gerade meine zweite Kindheit. Aber irgendwann möchte ich, glaube ich, Hormone nehmen. Auch wenn meine Stimme dadurch anders klingt.

Das Debütalbum von Mavi Phoenix: "Boys Toys"
Das Debütalbum von Mavi Phoenix: "Boys Toys" © KK