Eigentlich sollte der größte Wirbel überstanden, die Premiere absolviert, der Applaus eingeholt, die Feier überstanden, die nächste Vorstellung besprochen sein. Am Wochenende hätte ein erwarteter Saisonhöhepunkt, Shakespeares blutigstes Königsdrama „Macbeth“, am Grazer Schauspielhaus Premiere haben sollen. Aber das Haus ist geschlossen, der Probenbetrieb seit 13. März eingestellt. Die Schauspieler sitzen zu Hause, Regisseur Stephan Rottkamp ist abgereist.

Die Homepage nannte letzten Sonntag noch den 4. April als neuen Premierentermin. Klar, dass er nicht halten wird, Schauspielhaus-Intendantin Iris Laufenberg plant schon mit mehreren Szenarien: „A: Wir können im April/Mai wieder proben und bis Juni die Saison zu Ende spielen. B: Wir können erst im Juni wieder proben und ab Herbst wieder spielen. C: Der Worst Case, wir können überhaupt erst im Herbst wieder mit den Proben anfangen.“

Was ein in den Oktober oder November verschobener Saisonauftakt für Spielplan, Besetzung, Proben- und Spielbetrieb bedeutet, ist nicht abzusehen – schon weil ungewiss ist, ob dann der Reiseverkehr wieder funktioniert und mit Gästen disponiert werden kann. Die letzte geplante Saisonpremiere, Victor Hugos „Der König amüsiert sich“, ist das erste Opfer dieser Unsicherheiten: Die Produktion ist abgesagt. Der fast fertig geprobte „Macbeth“ aber soll es auf die Bühne schaffen. Wenn nicht im Frühjahr, dann im Herbst.

Florian Köhler: "Es ist komisch, so ohne Ziel zu sein“.
Florian Köhler: "Es ist komisch, so ohne Ziel zu sein“. © SSH/Lupi Spuma

Für Florian Köhler war die Titelrolle die programmierte Krönung einer Saison, in der er als durchgeknallter Finanzhai Kiko in „Vernon Subutex“ und als pflichtgetreue Frau Zittel in „Heldenplatz“ schon zwei echte Glanzstücke abgeliefert hat. Zudem hat das Drama für den Schauspieler persönliche Bedeutung: Im „Macbeth“, damals in einer Inszenierung von Anna Badora, gab er 2009 als Banquo sein Debüt in Graz. „Diese merkwürdigen Ferien“ nach fünf Wochen Vollprobenbetrieb, stellt er nun fest, habe er „schicksalsergeben zur Kenntnis genommen“. Er wiederhole eben seinen Text, „aber es ist komisch, so ohne Ziel“.

Nicht zu wissen, wann und wie es mit der Arbeit weitergeht, beschreibt auch seine Bühnenpartnerin Sarah Sophia Meyer als beklemmend: „Ich kann mir die Mordlust und den Wahnsinn der Lady Macbeth ja nicht einfach auf unbestimmte Zeit mit nach Hause nehmen“, sagt sie. Beide betonen am Telefon, dass ihnen die Privilegiertheit ihrer Position als angestellte Schauspieler sehr bewusst sei: „Es ist bedrückend, zu erleben, wie die Freien derzeit kämpfen“, sagt Köhler. Laufenberg will jedenfalls alle Verträge mit Gästen prüfen, „um geschlossene Vereinbarungen für beide Seiten bestmöglich zu lösen“.

Sarah Sophia Meyer: „Ich kann mir die Mordlust und den Wahnsinn der Lady Macbeth ja nicht einfach mit nach Hause nehmen“
Sarah Sophia Meyer: „Ich kann mir die Mordlust und den Wahnsinn der Lady Macbeth ja nicht einfach mit nach Hause nehmen“ © SSH/Lupi Spuma

Derweil ist das Schauspielhaus, wie alle Töchter der Bühnen Graz, auf Kurzarbeit gesetzt, in ihren Wohnungen produzieren die Ensemblemitglieder kleine Videos zur Publikumsbespaßung. Präsent bleiben, lautet die Devise, wenn schon Live-Erlebnisse und ihre Funkensprünge zwischen Bühne, Parkett, Balkon derzeit unmöglich sind. Für Intendantin Laufenberg birgt die Zwangspause auch einen unerwartet ironischen Aspekt: Das Programm für die Spielzeit 2020/21, jüngst schon fast in Druck gegangen, sollte dem Generalthema Entschleunigung gewidmet sein: „Es war ja spürbar, dass es mit Highspeed und Wachstum nicht ewig so weitergehen kann“, sagt sie. Nachsatz: „Wir haben uns Entschleunigung gewünscht, aber nicht so. Jetzt ist es ein bisschen gruselig.“

Der Lockdown und seine Einschränkungen, hofft sie, „lassen sich aber vielleicht auch als Chance nutzen, um darüber nachzudenken, was uns eigentlich wichtig ist und was uns wichtig sein sollte.“ Das auch am Beispiel Macbeths zu reflektieren, wird in Graz hoffentlich demnächst noch gelingen. Denn Machtmenschen, die mit zu viel Ehrgeiz und zu wenig Charakter ausgestattet sind und in Machtgier, Verrat, Tyrannei versinken, dürften ja, wenn man sich die Welt so anschaut, im Mai, im Juni oder im Herbst noch immer ein Thema sein.