Das Lustprinzip, es eint sie: die Lust an der Auseinandersetzung. Die Lust, dorthin zu gehen, wo es schmerzt. Die Lust auf das Waghalsige, Streitbare, Tiefgründige. Die gemeinsamen Produktionen des designierten Burgtheater-Chefs Martin Kusej und des „Nebenerwerbsschauspielers“ und diplomierten Landwirts Tobias Moretti waren künstlerische Erfolge: „König Ottokars Glück und Ende“ bei den Salzburger Festspielen 2005, „Der Weibsteufel“ oder „Das weite Land“ 2011 am Münchner Residenztheater.

Die beiden „Extremkünstler“ (Moretti) antworteten beim Wiener Salon auf die Fragen von Kulturchefin Ute Baumhackl und Chefredakteur-Vize Thomas Götz. „Tobias ist, das ist in unserer Branche selten, ein wahrer, echter Freund geworden“, sagt Kusej über Moretti. „Er ruft mich nicht an, weil er eine Rolle haben will, sondern weil er Ski fahren gehen will oder gut essen.“ Moretti vertraue Kusej und sonst keinem Regisseur: „Er macht da weiter, wo andere aufhören.“ Und: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einmal ein gemütlicher Regisseur wird.“

Im Juni 2017 wurde Kusej zum Hausherrn an der Burg bestellt und seitdem brodelt die Gerüchteküche: Wie will er das Nationalheiligtum ab Herbst 2019 erneuern? Wen bringt er mit? Und welche Inszenierungen? „Ich bin erst in einem halben Jahr Burgtheaterdirektor“, antwortet der Kärntner ausweichend. Um dann doch vor Zuhörern wie dem designierten Staatsopern-Direktor Bogdan Roscic oder Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky Details zu verraten. Mit Verweis auf Deutschland erklärte er, er wolle stärker auf Effizienz setzen. „Man verwaltet ja Steuergeld.“ In Sätzen wie diesen untermauert er seine Haltung: „Wir sind keine Unterhaltungskünstler, sondern auch Kritiker einer Gesellschaft.“ Er sehe sich als öffentliche Person. Aber: „Ich kommentiere Kunst, Welt und Gesellschaft als Künstler.“

Grillparzer, Horváth oder Schnitzler hat Ku(s)ej bereits inszeniert. Wie sieht es mit zeitgenössischer österreichischer Dramatik von Autoren wie Peter Handke und Elfriede Jelinek bis Ferdinand Schmalz aus? „Ja, ich werde mich damit beschäftigen“, sagt Ku(s)ej. Vor zwei Tagen habe er auch Handke in Paris besucht. Was er vorhat: „Ich bin auf der Suche nach österreichischen Autoren und Autorinnen, die niemand mehr kennt“, sagt der Regisseur und nennt zwei Namen: Maria Lazar (1895–1948) und Marianne Fritz (1948–2007). Lazar verfasste ab den 1920ern „faszinierende“ Dramatik und den Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“. Die Prosa von Marianne Fritz bezeichnete er als „total verwegen“. Die jüngere österreichische Dramatik sei hingegen für kleine Theater wichtiger als für das Burgtheater.

Verortung

Nach Jahren im Ausland kehrt Kusej mit seinem Burg-Engagement in die Heimat zurück. Er verbinde mit diesem Begriff das Dorf Globasnitz am Fuße der Petzen, wo er seine ersten Lebensjahre verbracht habe. „Da fahre ich jedes Jahr hin und sehe mir das Dorf an.“ Seine Heimat liege also etwa dort. „Ich stehe dazu: Ich bin Österreicher.“ Der Heimatbegriff sei jedoch ein schwieriger, mit dem in vielen Situationen viel zu fahrlässig umgegangen werde. Moretti fühlt sich in Tirol, auf seinem Bauernhof in Ranggen, verwurzelt: „Die Familie, die Erde und die Sehnsucht, immer wegzuwollen“, so skizziert er seine Verortung. „Wenn man weg ist, zieht es einen immer wieder zurück.“ So renne er durchs Leben, sagte er, zog einen Schuh aus und gab der Kulturrunde eine kleine Rhythmus-Kostprobe, ehe er noch Peter Roseggers Humoreske „Die Entdeckung von Amerika“ vortrug.
Apropos Lustprinzip: „Ich bin jemand, der Lust darauf hat, dass die Leute im Theater nicht wegschnarchen“, sagt Kusej. Das musste er auch bei diesem Salon nicht befürchten.