Gerade vom Grado-Urlaub zurückgekommen hat Thomas Hölbling Sandproben mitgebracht, die an diesem Montag der Drittklässler Peter untersucht. „Da sind ja Knochen drin, Muscheln und Steine“, sagt der Neunjährige. Und leider auch Plastikteilchen.

Am Stereomikroskop daneben sitzt Mitschüler Leo, der über einen 45-fach vergrößerten Schmetterlingsflügel staunt. Leo sieht „Schuppen mit kleinen silbernen Pünktchen drauf“.

Vor zweieinhalb Jahren hat sich der Volksschullehrer, obwohl bei seinen Schülern mindestens so beliebt wie Zeki Müller aus „Fack ju Göhte“, bewusst entschieden, seinen Dienstort zu verlegen und das naturwissenschaftliche Bildungslabor im Klagenfurter Lakeside Park mit aufzubauen. Es nennt sich „Biko macht MINT“. Biko steht für Bildungskooperation, MINT für die Fächer Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Das Ziel: Pflichtschülern beziehungsweise Gymnasiasten eine außerschulische, moderne Infrastruktur für diese Bereiche zu bieten und sie anzuleiten. Will heißen: Ihnen Zeit, Raum und Materialien für ihre Forschungen zu geben, ohne dass das einen naturwissenschaftlichen Namen hat.

© (c) Kleine Zeitung / Helmuth Weichselbraun

Vorgesetzt wird nichts, Fehler gibt es nicht. „Kein richtig, kein falsch“, sagt Hölbling. „Und es wird auch niemand gezwungen, später Physik zu studieren.“ Es soll einfach Interesse geweckt werden für das Tun-Wollen, das Selbst-Machen, für die Auseinandersetzung mit der Umwelt, und zwar mit eigenen Händen. Das Biko maßt sich auch nicht an, MINT-Fächer über andere zu stellen. „Aber sie sind unterrepräsentiert.

Wir sind dafür da, dieses Ungleichgewicht zu beheben“, sagt Hölbling, unter dessen liebsten Versuchsanordnungen jene mit dem blauen Plastiklöffel und der kleinen Metallkugel ist. „Nennt mir jeweils zehn Eigenschaften“, fordert er seine Schützlinge auf und wundert sich immer wieder über ihre Beobachtungsgabe. Zunächst genannt werden Gegensatzpaare wie laut und leise, kalt und handwarm, elastisch und stabil. Bald aber merken die Kinder, dass man sich in der Kugel wie auch im Löffel spiegeln kann. Und, und, und.

Hinschauen, aufs Kleine schauen, sich nur mit einer Sache beschftigen. „Was eine Schnittmenge ist, lernen die Kinder dann ganz von allein“, weiß Hölbling, der demnächst 25-jähriges Dienstjubiläum feiert (zwei Jahre davon hat er in der Schweiz unterrichtet).

Das Auto-Experiment ist ebenfalls ein Evergreen: Hölbling und seine Kollegin Iris Grimschitz, eine gelernte Sonderschulpädagogin, lassen Autos frei bauen, die mindestens drei Räder haben müssen und über eine Rampe fahren können. Warum fahren manche schneller, manche weiter? Und warum ist das noch immer so, wenn alle sich an die gleiche Bauanleitung halten? „Da begreift man dann die Probleme der Serienfertigung und der Normtestung ganz von allein.“

Dass vieles nicht so ist, wie es zu sein scheint, legt Hölblings Farbentest dar. Wer ein beige bedrucktes Papier unter die Lupe hält, sieht eine weiße Fläche mit blauen Punkten und rosa Sprengseln. Und ein vergrößertes Mohnsamenkorn sieht laut Volksschülern wie ein Mondkrater aus. Oder wie ein Gehirn. Oder wie eine kaputte Bohne. Aber nicht wie ein Mohnsamenkorn.

Was Viskosität bedeutet, erklärt Hölbling gerne mit einem Leim- und einem Wassertropfen, deren Fließ- und Tropfverhalten die Kinder beschreiben sollen. Immer wieder interessant: dass der Leim sich zunächst wie ein Faden zieht und erst dann ein Tropfen wird.

Licht, Luft, Wasser, Schatten, Elektrizität und Magnetismus sind die Hauptthemen im Biko, das der NMS-Pädagoge Robert Münzer leitet. Auch biologische Bodenproben entnehmen die jungen Forscher selbst: direkt vor der Tür des Lakeside Parks und staunen später darüber, wie sich die Bakterien darin entwickeln und sogar Strom erzeugen. Immer wichtig: „dass die Arbeit von den Kindern dokumentiert und auch präsentiert wird“, sagt Münzer, während er durch den Chemiesaal führt, in dem nicht nur die bereits legendären Knallgas-Experimente stattfinden, sondern auch DNA-Bestimmungen durchgeführt werden können. Das kleinste Möbelstück darin: der Lehrertisch. 

Manchmal muss Hölbling im negativen Sinne staunen. Dann, wenn ein Drittklässler keine Bauanleitung lesen, kein Auto zusammenbauen kann, weil Feinmotorik und Raumgefühl fehlen. Man ahnt, dass der Begriff „Zahlenraum“ zu Recht etwas mit Raum zu tun hat. In Erinnerung ist dem Pädagogen auch das verblüffte Gesicht eines jungen Fragestellers, der wissen wollte, welche Spiele der Herr Lehrer auf sein Handy geladen hat, und Hölbling wahrheitsgemäß „keine“ antwortete. „Viele sind gewohnt, alles vorgesetzt zu bekommen. Alles zu konsumieren. Keine gute Entwicklung.“

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Erkennt er Unterschiede in der MINT-Kompetenz bei Buben und Mädchen? „Ehrlich gesagt: gar keine.“