Leider: Rund um den Begriff Karriere ranken sich allerlei Mythen, Vorurteile und Missverständnisse. Es ist Zeit, das Thema Karriere neu zu denken, denn klassische Karrieren (von unten nach oben) werden erstens seltener und verlieren zweitens an Attraktivität. Ausstiege, Umstiege, laterale Karriereverläufe und Brüche nehmen zu und beeinflussen die Organisationsstruktur und Personalentwicklung.


Erwartungshaltungen. Die Erwartungshaltung von Mitarbeitern an Karriere ändert sich. Ging es früher um „oben" oder „unten", so geht es jetzt um „innen" oder „außen". Vom Aufstieg in der Ordnung des Geheiligten – also der Hierarchie – zur Ordnung durch Nachbarschaftspflege – also der Heterarchie. Konkret haben wir es mit einer Generation „Keine Generations-Definitionen bitte!" zu tun. Multiple Wege, multiple Biografien, entschiedene Unentschiedenheit. Und dann im besten Fall „optimistische Sinnstifter" und „Spielregel-Änderer". Diese Generation hat erfahren, was der Soziologe Charles Perrow als die „Normalität der Katastrophe" beschrieb: Krisen technischer, finanzieller, sozialer, klimatischer Art. Diese Generation hat von der New-Economy-Krise über 9/11 und Fukushima bis hin zur Finanzmarkt- und EU-Krise tatsächlich eine Normalität der Katastrophe erlebt, die einerseits für Abstumpfung sorgen könnte, aber eben auch für Engagement und den Wunsch nach Spielregeländerung. Dazu kommen der Rückenwind der Demografie und der Vermögensnachfolge, der Gegenwind der vorherigen Generation, die Ausei­nandersetzung mit den alten Spielen und Vorbildern und schließlich die Nutzung nachbarschaftlich organisierter Sozialtechniken. Zusätzlich sorgt die erstmalige Vermögensnachfolge seit gut hundert Jahren für eine neue Gelassenheit der nächsten Generation. Das kann Dekadenz bedeuten, aber auch, dass man sich stärker von Interessen leiten lässt.

Die Millennials haben in sozialen Medien projektbezogene Nachbarschaftlichkeit erfahren und können mit aufstiegsbezogenen Hie­rarchien nicht viel anfangen. In Netzwerken sozialisiert, haben diese frühere und genauere Selbstbeobachtung gelernt und ihre Selbstwirksamkeit ist viel stärker ausgeprägt, also die Aufmerksamkeit für die Frage: Was kommt bei dem, was ich tue, ganz konkret raus? Um nicht missverstanden zu werden: Das gilt natürlich nie für alle und alles – nach wie vor gibt es die Gruppe der Adaptiv-Pragmatischen, für die traditionelle Karrierewege attraktiv sind, die Anzahl derer nimmt jedoch ab.

Die neue Generation stellt also die Personalabteilungen – sämtlich aus der vorherigen Generation, der man den Stempel „X" verpasst hat – auf die Probe. Nicht nur Kunden, die Globalisierung und das Auf und Ab der Konjunktur machen den Unterschied, sondern eben auch die Angestellten, die sich anstellen, weil sie nicht mehr so angestellt sein wollen wie die Vorgänger. Sind Unternehmen darauf vorbereitet? Es geht wohl um ehrliches Bemühen. Insgesamt ist eine Neugier zu spüren. Unternehmen mit breit aufgestellter Personalarbeit prüfen neue Formen des Recruiting, aber auch der längerfristigen Bindung.

Mythen. Die Botschaft der neuen Managementliteratur ist simpel: Schuld an den Zuständen sind die inkompetenten Egomanen in den Führungsetagen, die ihre Mitarbeiter daran hindern, ihren Job zu machen. In unzähligen Einzelbeispielen wird von Führungskräften berichtet, die Mitarbeiter mit guten Ideen ausbremsen und bei zu viel Engagement „in die Besenkammer" strafversetzen. Es werden Geschichten kolportiert, in denen Führungskräfte neue Stellen lediglich an Verwandte, Bekannte und Freunde vergeben haben, für Fehler in der Abteilung dann jedoch die übrigen Mitarbeiter verantwortlich machen. Je höher Mitarbeiter in der Hierarchie steigen, so die Literatur, desto unfähiger, inkompetenter und korrupter seien sie. Wir fragen uns, wo hier der Bruch passiert ist vom unschuldigen und kompetenten Mitarbeiter zum inkompetenten Manager.


Die Tendenz in Organisationen zur Personalisierung ist nachvollziehbar. Schließlich vermitteln sich fast alle Ansprüche, die in einer Organisation an uns gestellt werden, über Personen. Die Hierar­chien, die sich eine Organisation gibt, werden über die Beziehung zu den Vorgesetzten oder zu den eigenen Mitarbeitern wahrgenommen. Die Zwecke der Organisation werden über Anweisungen wahrgenommen und als unrealistisch eingeschätzte Ziele dann eben nicht auf Ansprüche der Organisation, sondern auf überambitionierte Vorgesetzte zurückgeführt.


Was zählt. Auch wenn man es durch persönliche Erlebnisse nicht immer glauben mag, aber es kommen großteils die richtigen Personen an die richtigen Stellen. In gesunden Organisationen decken sich formale und funktionale Expertenautorität. Oben landen Führungskräfte nicht zufällig, sondern weil sie sich viel Mühe geben, dort hinzukommen und sehr genau um ihre Talente, Begabungen und Stärken wissen. Doch langfristig planbar ist das kaum noch. In einer Welt, die unsicher, volatil, chaotisch und komplex erscheint, wird mittel- und langfristige Laufbahnplanung schwierig.

Bisher ist Karriere an eine verordnete Verhaltenskultur geknüpft, Pünktlichkeit, Fleiß, Berechenbarkeit. Vorgegebene Laufbahnwege sind nun aber passé, sie setzen nämlich voraus, dass sich Geschäftsmodelle nicht ändern. Karriere ist eine Bewegung entlang der Hierarchien. Die persönliche Entwicklung ist ein Gegenentwurf: Selber wachsen, statt nur immer höher zu klettern.Aber sind es auch die Richtigen? Diejenigen, die nicht nur sich, sondern auch die Organisation voranbringen? Auch für den Einzelnen wirft das Thema Karriere allerhand Fragen auf. Welche Kompetenzen sind morgen noch etwas wert?