Komplizierte Formeln, fremde Symbole, abstrakte Grafiken: Die Höhere Mathematik kann auf Laien ziemlich einschüchternd wirken. Was fasziniert Sie an diesem Fach?
GERHARD SORGER: Mathematik ist ein ungemein kreatives Beschäftigungsfeld, das oft mit den Künsten in Verbindung gebracht wird. Mich fasziniert, wie sie uns es ermöglicht, die Welt in Zahlen zu fassen: Dank ihr sind wir in der Lage, komplexe Vorgänge wie den Klimawandel zu modellieren und zu verstehen. Dieses Verständnis ist notwendig, um Lösungen für Probleme wie dieses zu finden.

Als Wirtschaftsmathematiker beschäftigen Sie sich mit der Abbildung von komplexen Systemen, die das menschliche Handeln als Treibkraft haben. Wie passen unsere oft irrationalen Entscheidungen zu einer so rationalen Wissenschaft?
Menschen planen ihre Zukunft. Wenn sie Aktien besitzen und eine Preissteigerung erwarten, kaufen sie mehr davon und der Preis steigt infolge dessen tatsächlich. Solche Rückkopplungseffekte auf Basis von Erwartungen sind eine Besonderheit in unserem Feld, so etwas kennen die Naturwissenschaften nicht. Durch die Beschreibung solcher Effekte lassen sich Immobilienblasen und ihr Platzen erklären. Das in Formeln zu gießen, ist ungeheuer spannend.

Als eines Ihrer jüngsten Forschungsprojekte an der Universität Wien haben Sie sich mit den Ursachen der ungleichen Vermögensverteilung beschäftigt. Was hat es damit auf sich?
Bereits vor 150 Jahren war bekannt, dass Geduld ein Faktor für die Vermögensverteilung sein kann. Geduldige Menschen sind eher sparsam und bauen so Vermögen und Wohlstand auf. Anfang des 20. Jahrhunderts kam dann die Vermutung, dass letztendlich das gesamte Vermögen bei den geduldigsten Menschen landen wird. Bislang schaffte es die Wirtschaftsmathematik nicht, das zu beweisen. Mit einem Kollegen ist es mir gelungen.

Welche Konsequenzen lassen sich aus Ihrem mathematischen Satz ziehen?
Es lässt sich vor allem eine Entscheidungsgrundlage für Wirtschaftspolitiker ableiten. Wenn man nicht möchte, dass nur die wenigen Geduldigsten das meiste Vermögen haben, muss ich Umverteilungsmechanismen einführen, um große Ungleichheit zu vermeiden.

Mit politischen Entscheidungen haben Sie sich auch bei einer Veröffentlichung zum Thema Klimawandel befasst. Welcher Frage sind Sie dabei nachgegangen?
Ich habe gemeinsam mit einem Co-Autor darüber nachgedacht, was passieren würde, wenn es eine überstaatliche Organisation gäbe, die Emissionsgrenzen festsetzt. Bisherige Klimaabkommen waren nicht verbindlich, die Maßnahmen nur auf freiwilliger Basis. Unsere Analyse basiert auf der Annahme, dass eine Institution geschaffen wurde, die den Staaten verbindliche Vorgaben machen kann.

Was stellte sich bei dieser Analyse heraus?
Dass eine derartige Institution mit extrem viel Macht ausgestattet sein müsste. Es besteht nämliche in sogenanntes Zeitinkonsistenzproblem: Ein festes Klimaziel bis 2050 motiviert Staaten, schon früh in grüne Technologien zu investieren. Sobald diese Investitionen getätigt sind, hat die überstaatliche Institution jedoch keinen Anreiz mehr, strenge Emissionsgrenzen zu setzen und wird ihre selbst gesetzten Ziele verwässern.

Solche Berechnungen erfordern ein hohes Maß an mathematischen Fähigkeiten. Wie schätzen sie als Dekan der Wirtschaftsfakultät denn die Rechenkünste der Studienanfänger ein?
Die Kompetenzen sind sehr gemischt. Einige Maturanten kommen mit falschen Vorstellungen ins Studium der Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaft. Sie sind dann überrascht, wenn sie merken, wie formalisiert diese Wissenschaften sind.

Ist Formalisierung etwas, das viele bei Mathematik abschreckt?
Das mag zum Teil stimmen. Was jedoch viel mehr abschreckt, ist die Darstellung der Mathematik als Horrorfach schon früh in der Schule. Dabei ließe sich im Unterricht leicht Spaß am analytischen und formalen Denken vermitteln.

Gerhard Sorger
Gerhard Sorger © Uni Wien