Parkplatzdieb, Vordrängler, nerviger Bürokollege: Warum werden wir eigentlich wütend?

EVELYN SUMMHAMMER: Wir werden aggressiv, wenn wir uns angefeindet oder ungerecht behandelt fühlen. Hier interpretieren wir das Verhalten der anderen Person als absichtsvoll gegen uns gerichtet. Über diese Bewertung kommt man auch in die Emotion – in die Wut.

Heißläufer und Jähzornige: Warum werden manche Menschen schneller wütend als andere?

In der Psychologie nennt man das die Aggressivität. Unser Aggressivitätsniveau ist unterschiedlich. Hier spielen Faktoren wie Genetik, Kultur oder Erziehung mit. Spannend ist, dass man diese Heißläufer dann auch dort findet, wo sie diese Aggression ausleben können. Zum Beispiel auf dem Fußballplatz, weil Aggression hier in einem bestimmten Ausmaß auch erwünscht ist und nicht als negativ gewertet wird.

Gibt es einen Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Aggression?

Es gibt einen Unterschied im Ausleben, aber nicht im Erleben. Männer zeigen Aggressionen größtenteils direkter. Sie hauen auf den Tisch und sagen dem anderen, wenn ihnen etwas nicht passt. Dann ist es aber vorbei und sie gehen auf ein Bier, weil sie sich die Erlaubnis gegeben haben, sich direkt zu zeigen, was sie wollen. Frauen mussten und müssen die Familien zusammenhalten. Wenn sie auf jemanden wütend waren, dann haben sie diese Person nicht körperlich bestraft, sondern haben sie umgangssprachlich ,hinausgebissen‘. Diese Form der Aggression nennt man relationale Aggression, weil sie auf die Beziehungen bezogen ist. Frauen verschlechtern die Beziehungen, bis eben gar nichts mehr geht.

Hat Aggression auch eine positive Seite?

Ja, sie ist ein Schutz. Wir brauchen sie auch, um überleben zu können. Man wird ja aggressiv, weil jemand gegen einen vorgeht. Heutzutage handelt es sich in der Regel um ein verbales, intellektuelles Vorgehen. Früher war das ja durchaus auch tätlich. Jetzt kann ich aber noch einen Schritt weitergehen und diese Energie auf eine Lösung oder ein Ziel lenken.

Man ist auf 180, sieht rot: Wie kann man hier Aggression noch in positive Bahnen leiten?

Indem man sie in die Lösung investiert. Wenn mir jemand den Job weggenommen hat, dann kann ich mich fragen: Was hat derjenige gemacht, was ich nicht gemacht habe? Was kann der, was ich nicht kann? Was brauche ich, um zukünftig das Ziel zu erreichen? Und da sind wir in der positiven Form der Aggression, die ganz wichtig für uns ist. Das merkt man gleich, weil man spürt, dass dieses Geschehen energetisch sehr geladen ist.

Was sagen Sie zu „Wuträumen“, wo man den Frust loswird, indem man Porzellan, alte Computer oder Möbel zerschlägt?

Wenn wir Ärger nicht konstruktiv verarbeiten, dann speichern wir die negative Energie im Körper. Damit steigt das Risiko, dass wir bei einer anderen Gelegenheit überreagieren, weil diese Situation auf alte Wut stößt und diese auch freisetzt. Wenn ich in einem Wutraum diese Energie nur körperlich abarbeite, häuft man diese Trigger einfach weiter an.

Wie reagiert man nun richtig in diesen emotionalen Situationen?

Wenn wir in ein negatives Gefühl kommen, das eine gewisse Intensität übersteigt, dann geht unser emotionales Gehirn – das limbische System – in den Ausnahmezustand und unterscheidet nicht mehr zwischen harmlos oder existenzbedrohend. Unser Körper wird in diesem Moment von Adrenalin durchflutet, weil er sich für den Kampf rüstet. Das kann jetzt sein, weil sich bei der Kassa jemand vordrängt und man vielleicht schon generell nicht so gut drauf ist. Der Körper schaltet jedenfalls in den Kampfmodus. Ich nenne diese Phase die Hochspannungsphase.

Was kann man tun, um diese Hochspannungsphase für alle Beteiligten zu entschärfen?

Man sollte sich bemühen, seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken. Dafür muss man natürlich an sich arbeiten. Es geht darum, den Energieschub des Adrenalins abzuschwächen. Wenn man nämlich mit der Wahrnehmung in der Situation bleibt und weiterhin beobachtet, wie sich der andere verhält, dann schaukelt man sich selbst nur in der Wut auf und erhält somit diese negativen Gefühle bloß aufrecht. In diesem Moment ist es die große Kunst, zu sagen: Ich bin jetzt im Stress und angespannt. Ich versuche mich jetzt zu entspannen und vor allem: Ich akzeptiere, was der andere tut.