Das Coronavirus hat Bevölkerung, Politik und Gesundheitssystem überrascht und überfordert. Ein schwerwiegender Nebeneffekt war, dass andere Krankheiten nicht behandelt wurden, weil es Zugangsbeschränkungen gab oder sich die Patienten wegen einer möglichen Corona-Infektion nicht trauten, ins Spital oder in die Ordination zu gehen. Damit müsse Schluss sein, erklärten sieben prominente Mediziner bei einem gemeinsamen Auftritt gestern in Linz.

„Wir haben viel gelernt“, und im Gesundheitssystem gebe es eine „neue Professionalität“, hieß es. Das Coronavirus werde sich zu den bestehenden Winterinfekten „dazugesellen“, sagte Franz Allerberger, Leiter des Geschäftsfeldes Öffentliche Gesundheit der Agentur für Gesundheit (AGES) in Wien: „Es wird bleiben, damit müssen wir leben.“ Die Sterblichkeit sei in etwa doppelt so hoch wie bei der Grippe, aber Corona lasse sich bewältigen. Die ärztliche Versorgung müsse sichergestellt bleiben. „Ein Kind mit 39 Grad Fieber muss zum Arzt, da gibt es kein Diskussion. Da geht es nicht darum, in zwei Tagen zu klären, ob es Corona hat, sondern andere schwere Krankheiten auszuschließen.“


„Niemand muss sich vor dem Arzt oder dem Krankenhaus fürchten“, sagte Rainer Gattringer, Leiter des Instituts für Hygiene und Mikrobiologie des Klinikums Wels-Grieskirchen. Die Spitäler seien in Sachen Hygiene sehr gut aufgestellt. Im europäischen Vergleich weist Österreich die niedrigsten Resistenzzahlen bei Bakterien auf. Auch im niedergelassenen Bereich sei das Ansteckungsrisiko minimiert worden.

Das Gesundheitssystem in Österreich sei „so gut vorbereitet auf den Herbst und Winter wie noch nie“, sagte Petra Apfalter, Leiterin des Instituts für Hygiene, Mikrobiologie, Tropenmedizin des Ordensklinikums Linz. Früher habe es „Schludrigkeit“ im System gegeben, kranke und gesunde Personen seien im gleichen Raum gewesen, das sei jetzt nicht mehr der Fall, erklärte Günter Weiss, Direktor der Innsbrucker, Universitätsklinik für Innere Medizin II. Es brauche einen rationalen Umgang. Wichtig sei, rasch jene wenigen, die schwerer von der Krankheit betroffen sind, herauszufiltern. Die Ärzte müssen wieder die zentrale Rolle spielen, so eine Botschaft der sieben Experten. Sie sollen entscheiden, wer getestet wird, nicht etwa jemand in der Hotline 1450 – „unreflektiert auf Zuruf“, sagte Wolfgang Ziegler, Kurienobmann-Stellvertreter der niedergelassenen Ärzte der Ärztekammer Oberösterreich.

Generell müsse der Hausarzt die erste Anlaufstelle sein, Patienten könnten bedenkenlos in die Ordinationen kommen. Bei Corona-Symptomen sollen sie den Arzt anrufen. All das sei im März und April schwierig gewesen, weil „uns die nötige Schutzausrüstung gefehlt hat“„ Die niedergelassenen Ärzte haben laut Ziegler das Abstandsmanagement optimiert, sowohl zeitlich als auch räumlich. „Wir müssen zurück zu einer Normalität. Ich warne davor, dass Patienten etwa chronische Erkrankungen und Vorsorge vernachlässigen“.

Wir müssen zurück zu einer Normalität. Ich warne davor, dass Patienten etwa chronische Erkrankungen und Vorsorge vernachlässigen

Der Grazer Public-Health-Experte Martin Sprenger sagte, in der Medizin gelte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Der Nutzen müsse größer sein als die Nebenwirkung. Kritisch merkte er Arbeitslosigkeit und etwa nicht behandelte Herz-Kreislauf-Erkrankungen wegen des Lockdowns an. In puncto Behandlungsmethoden berichtete Weiss von Entwicklungen und Fortschritten wie etwa bei der Beatmung. Bei der Entwicklung von Medikamenten appellierte er: Qualität vor Tempo. Ähnliches gilt laut den Experten beim Impfstoff. Wann dieser komme, wisse derzeit niemand.