"Wer hat die Power?", ruft Nikole Hannah-Jones, eine Starreporterin der "New York Times", die den Pulitzerpreis für das "1619 Project" bekam, eine Serie über Sklaverei in Amerika. "Wir haben die Power!", ruft die Menge zurück. "Ohne uns", sagt Hannah-Jones und deutet hinter sich, "wäre das nur ein leeres Gebäude."

Sie spricht vor dem "Times"-Eingang an der West 40th Street, unter einem Baugerüst und neben einer riesigen aufblasbaren Ratte, dem Maskottchen der Gewerkschaft. Der Bürgersteig ist gedrängelt voll mit Redakteuren, Reportern, Webdesignern, Security-Personal und Büroangestellten. 1100 der gut 1800 "Times"-Mitarbeiter haben ihre Arbeit niedergelegt, im Kampf für einen neuen Tarifvertrag.
Teams aller US-Sender sind da, auch die BBC. Mediendelegationen aus anderen Städten erklären Solidarität, Lektoren von Harper Collins sind gekommen, ein New Yorker Verlag im Besitz von Rupert Murdoch, auch Gewerkschafter der Communication Workers of America, die Telefongesellschaften repräsentieren.

Nicht nur mehr Gehalt wird gefordert

Auch der Finanzchef von New York, Brad Lander, ist da. "Ich habe heute die 'Times' nicht gelesen, nicht den 'Times'-Podcast in der Dusche gehört, und ich habe auch nicht Wordle gemacht", ruft er. Wordle ist ein beliebtes Worträtsel, das die "Times" 2022 erworben hat. Der Pensionsfonds der Stadt besitze "Times"-Aktien im Wert von 25 Millionen Dollar, sagt Lander, die städtischen Angestellten wollten gewiss keinen Konzern unterstützen, der die Arbeitgeber schäbig behandele.

Schon seit März 2021, als der Vertrag zwischen der "New York Times" News Guild und der Geschäftsführung ausgelaufen ist, wird verhandelt. Gefordert wird eine zehnprozentige Gehaltserhöhung, dazu ein Mindestgehalt von 65.000 Dollar. Derzeit sind es 52.000 Dollar. Das klingt nach viel, aber die Durchschnittsmiete in New York liegt bei über 3000 Dollar im Monat und Lebensmittel werden immer teurer. Manche "Times"-Reporter bräuchten einen zweiten Job, sagt Hannah-Jones. Außerdem wird eine bessere Gesundheits- und Altersvorsorge gefordert. Und: Die Guild verlangt, dass Diversität, Jobs für ethnische Minderheiten, im Tarifvertrag festgeschrieben wird und nicht nur eine bloße Willenserklärung der Verleger bleibt.

Viele Branchenkollegen zeigten sich solidarisch mit der "Times"-Gewerkschaft
Viele Branchenkollegen zeigten sich solidarisch mit der "Times"-Gewerkschaft © AP (Julia Nikhinson)

"Das Geld ist da"

Die Streikenden sind verärgert, weil die "Times" alleine im dritten Quartal 51 Millionen Dollar an Gewinnen eingefahren hat. 550 Millionen Dollar wurden für die Sportwebseite ausgegeben, für 150 Millionen Dollar wurden Aktien zurückgekauft, leitende Manager bekamen 30 Prozent mehr Gehalt. "Das Geld ist also da", sagt Hannah-Jones. "Die Angestellten haben zurückgesteckt, als es der 'Times' jahrelang schlecht ging, jetzt wollen wir am Aufschwung beteiligt werden."
"Times"-Geschäftsführerin Meredith Kopit Levien erklärte, die Profite seien noch nicht hoch genug, um derartige Gehaltserhöhungen zu rechtfertigen. Die "Times" ist heute trotz des Streiks erschienen, produziert von nicht-Gewerkschaftsmitgliedern (dafür steht die Gewerkschaftsratte). Dies ist der erste Zeitungsstreik in New York seit 1978. Damals streikten die Mitarbeiter der "Times", der "Daily News" und der "New York Post" für fast drei Monate. Das hatte deren Verlage rund 150 Millionen Dollar gekostet.