Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nach der rasanten Zunahme von Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus in China eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" ausgerufen. Damit sind konkrete Empfehlungen an Staaten verbunden, um die Ausbreitung über Grenzen hinweg möglichst einzudämmen. Noch sei die Zahl der Infektionen außerhalb Chinas relativ gering, sagte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Donnerstagabend. Aber man wisse nicht, welchen Schaden das Virus in einem Land mit einem schwachen Gesundheitssystem anrichten würde. Der Schritt sei nicht als Misstrauensvotum gegen China zu verstehen, betonte der WHO-Direktor.

Zwei neue Verdachtsfälle in Wien

Unterdessen gibt es in Wien zwei neue Coronavirus-Verdachtsfälle. Eine Philippinin befindet sich mit leichten Symptomen im Kaiser-Franz-Josef-Spital. Sie hatte sich in der Nacht auf Donnerstag ins Krankenhaus begeben, hieß es aus dem Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV).

Die Frau war bereits am 20. Jänner von Hongkong nach Wien gereist. Nunmehr entwickelte sie grippeähnliche Symptome und hatte am Donnerstag unter anderem leichtes Fieber. Die Frau ist bereits der sechste Verdachtsfall in Wien. Bei den vorherigen fünf gab es in allen Fällen nach Test Entwarnung.

Bei dem zweiten Fall handelt es sich um einen chinesischen Touristen, der am Donnerstag kurz vor Mittag ins Wiener AKH gekommen ist und über Halsschmerzen und Fieber geklagt hat. Er wurde unter Einhaltung der Hygienebestimmungen mit der Rettung ins Kaiser-Franz-Josef-Spital (KFJ) gebracht, wo er nun getestet wird, hieß es aus dem Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV).

Der Mann stammt aus Shanghai und war am 26. Jänner aus China kommend nach Budapest gereist. Am Mittwoch war er nach Wien weitergefahren. Bei ihm handelt es sich mittlerweile um den siebenten Verdachtsfall zum Coronavirus in der Bundeshauptstadt.

Österreichischer Pandemieplan wird überarbeitet

Auf mediale Kritik, dass Österreich im Notfall nicht durch einen modernen Pandemieplan geschützt sei, hat das Gesundheitsministerium am Donnerstag auf APA-Anfrage erklärt, dass sich der - derzeit nur online abrufbare - Influenza-Pandemieplan aus dem Jahr 2006 in Überarbeitung befinde. Daher gebe es aktuell keine publizierte Version. Lesen Sie mehr dazu hier!

Zahl der Fälle weltweit über 8100

Die Zahl der Infektionen mit dem neuen Coronavirus 2019-nCoV hat mittlerweile die weltweiten Fälle bei der SARS-Pandemie vor 17 Jahren übertroffen. Mit 317 neuen Erkrankungen, die die Behörden der schwer betroffenen Provinz Hubei in Zentralchina am Donnerstag berichteten, kletterte die Gesamtzahl weltweit auf mehr als 8100. An dem Schweren Akuten Atemwegssyndrom (SARS) waren 2002/2003 nach Auskunft der Weltgesundheitsorganisation 8096 Menschen erkrankt und 774 gestorben. Durch das neue Virus, das mit dem SARS-Erreger verwandt ist, sind bisher 170 Menschen ums Leben gekommen.

Da lokale Stellen im Kampf gegen die Ausbreitung der Lungenkrankheit mancherorts Straßensperren errichten, appellierte das Pekinger Transportministerium an die Behörden, den reibungslosen Verkehr aufrechtzuerhalten. Straßenblockaden ohne Genehmigung seien illegal.

Es könne Kontrollen mit Fiebermessungen an Autobahnauffahrten, Raststätten oder Provinzgrenzen und auf Landstraßen geben, aber Straßen dürften nicht einfach gesperrt werden, zitierte die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua aus der Anweisung.

Höhepunkt frühestens in einer Woche

Mit der ersten Erkrankung in Tibet sind nun in allen Regionen und Provinzen Chinas Infektionen nachgewiesen. Der Anstieg ist rasant. Vor zwei Wochen waren erst 40 Fälle gezählt worden. Der Höhepunkt der Epidemie wird frühestens in einer Woche erwartet.

Auch Frankreich meldete eine weitere Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Bei der fünften Erkrankung im Land handle sich um die Tochter eines erkrankten 80-jährigen Touristen aus China, teilte das Gesundheitsministerium mit. Der Zustand des 80-Jährigen sei ernst, er werde weiter in einem Pariser Krankenhaus behandelt.

In Bayern hat sich ein weiterer Patient mit dem neuartigen Coronavirus aus China infiziert. Wie bei den anderen vier deutschen Fällen handle es sich um einen Mitarbeiter des in Starnberg angesiedelten Automobilzulieferers Webasto, teilte das bayerische Gesundheitsministerium am Donnerstagabend mit. Der neu Infizierte wohne im Landkreis Traunstein. Außerhalb der Volksrepublik sind in rund 20 Ländern etwas mehr als 100 Infektionen gezählt worden. Darunter sind neben Deutschland und Frankreich auch Thailand, Japan, Singapur, Malaysia, die USA, Finnland, Australien und Südkorea. Neu hinzu kam am Donnerstag je ein bestätigter Fall in Indien und auf den Philippinen. Vielfach sind die Infizierten Reisende aus China, aber es kommt auch zu neuen Ansteckungen außerhalb des Landes.

Tücken des Virus

Das Virus ist besonders tückisch, weil Infizierte schon in der bis zu zweiwöchigen Inkubationszeit ansteckend sind, ohne krank zu sein und Symptome zu zeigen. Viele Staaten, darunter auch Österreich, arbeiten daran, ihre Bürger aus der besonders betroffenen Stadt Wuhan in Zentralchina auszufliegen.

In Japan kehrte am Donnerstag bereits die zweite Chartermaschine mit 210 Landsleuten aus Wuhan zurück. Am Vortag waren 206 Japaner heimgeholt worden. Bei Dreien wurde eine Infektion festgestellt, wie die Regierung berichtete. Auch die USA hatten am Mittwoch rund 200 Staatsbürger ausgeflogen.

"Rapide Ausbreitung"

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Adhanom Ghebreyesus und Notfallchef Michael Ryan zeigten sich besorgt über die "rapide Ausbreitung" der Lungenkrankheit. Sie seien jedoch sehr beeindruckt von den chinesischen Aktivitäten. "Das chinesische Verhalten während des SARS-Ausbruchs und das chinesische Verhalten heute - absolut kein Vergleich", sagte Ryan, der 2003 auch während des SARS-Ausbruchs schon involviert war. Damals hatten die Behörden den Ausbruch zunächst lange vertuscht, was die Reaktion verzögerte.

Auf die Frage, ob die WHO das Ausfliegen von Ausländern empfiehlt, sagte Tedros: "Die Entscheidung liegt natürlich bei jedem Land selbst. Aber sie müssen gut darauf vorbereitet sein, wenn das Virus auf diesem Weg eingeschleppt wird." Angesichts der rasanten Ausbreitung des neuen Coronavirus wollte die WHO am Donnerstag erneut im Notfall-Ausschuss beraten. Bisher hatte sie davon abgesehen, eine "gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite" auszurufen.

Erste Übertragung von Mensch zu Mensch in den USA

In den USA ist indes die erste Übertragung des neuen Coronavirus von Mensch zu Mensch nachgewiesen worden. Dabei handle es sich um den Ehemann einer Frau, bei der nach einer Reise nach Wuhan vor rund zehn Tagen das Virus nachgewiesen wurde, teilte die US-Gesundheitsbehörde CDC am Donnerstag mit.

Der Mann sei um die 60 Jahre alt und in stabilem Zustand. Die Frau befinde sich isoliert in einem Krankenhaus und sei in gutem Zustand. Außer den beiden gibt es in den USA bisher vier bestätigte Fälle von Menschen mit Coronavirus, alle von ihnen hatten das Virus aus Wuhan mitgebracht.

In Frankreich ist unterdessen eine sechste Infektion mit dem neuen Coronavirus bestätigt worden. Es handle sich dabei um einen Arzt in Frankreich, der mit einem Menschen in Kontakt war, dessen Erkrankung später in Asien festgestellt worden sei, teilten Frankreichs Gesundheitsbehörden am Donnerstagabend mit. Der Arzt sei nun schnell isoliert worden. Der Gesundheitsdirektor Jerome Salomon lobte die Kommunikation mit den asiatischen Behörden - diese hätten Frankreich über den Fall in Asien informiert. "Man ruft sich gegenseitig an, um Fälle zu melden", sagte er.

Flugverkehr gestoppt, Veranstaltungen verschoben

Neben der Austrian Airlines, Lufthansa und British Airways kündigten weitere Fluggesellschaften wie etwa die Air France, KLM, Finnair, American Airlines, SAS, Egyptair, die spanische Fluggesellschaft Iberia und die israelische El Alan an, ihre Flüge nach China zu streichen. In China selbst sagten die Behörden immer mehr Veranstaltungen ab, um Ansammlungen von Menschen zu verhindern. Chinas Fußballverband CFA kündigte am Donnerstag an, die Fußball-Saison des Landes vorerst zu verschieben. So sollen die Gesundheit der Fans und Spieler geschützt werden.

Die überwältigten Krankenhäuser in der schwer betroffenen Provinz Hubei leiden an einem Mangel an Material. Wie der Sprecher der Gesundheitskommission, Mi Feng, vor der Presse in Peking sagte, seien die Produktionskapazitäten hochgefahren worden. Auch seien Maßnahmen ergriffen worden, um den Transport nach Hubei zu beschleunigen. "Die Situation verbessert sich." Die Behörden in Wuhan bauen zwei Krankenlager in Schnellbauweise, um Patienten zentral unterzubringen. Eins soll nächste Woche fertig werden, das andere wenig später.

Das chinesische Wirtschaftswachstum dürfte wegen des neuen Coronavirus nach Ansicht der US-Notenbank etwas geringer ausfallen. Es sei noch zu früh, die Auswirkungen genau zu prognostizieren, aber eine "gewisse Störung" des Wirtschaftslebens in der kurzen Frist sei sehr wahrscheinlich, sagte Notenbankchef Jerome Powell vor Journalisten. Schwächeres Wachstum in China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde, wäre auch in den USA spürbar, aber nur sehr begrenzt, sagte Powell. Betroffen wären nach derzeitigem Kenntnisstand wohl vor allem China und seine Nachbarländer.