Der Weg zu Anna Coca ist eisig und schmal. Nur das Kläffen der Hunde begleitet einen, während man zu ihrem verfallenen Häuschen stapft, das auf einem Hügel in der rumänischen Stadt Petroșani steht. Sie sitzt in ihrer Kammer voller Bilder von ihrem Mann und ihrem Sohn: „Ich bin alleine“, sagt die 92-Jährige. Ihr Mann ist tot, der Sohn vor einigen Jahren an Krebs gestorben.

Doch Anna Coca zählt zu den Glücklichen. Melinda, eine Pflegerin der Caritas, kümmert sich um die gebrechliche Frau. Das ist selten in Rumänien. Wer wenig Geld hat, kann sich Pflege nicht leisten. Fast 42 Prozent der rumänischen Pensionisten leben an der Armutsgrenze. „Hinzu kommt, dass es uns an Pflegekräften mangelt. Viel gut ausgebildetes Personal hat das Land verlassen“, sagt András Márton, Caritasdirektor in der Region.

Alin vermisst seine Mutter
Alin vermisst seine Mutter © KLZ/Macher

Oft kommen sie nach Österreich: Von den mehr als 63.000 sogenannten Personenbetreuern stammen laut der Wirtschaftskammer hierzulande 43,2 Prozent aus Rumänien. Die Mutter von Alin Simion Constantin ist eine von ihnen: „Ich vermisse sie sehr, wenn sie weg ist. Aber sie geht in Österreich Geld verdienen, damit wir versorgt sind“, erzählt der Neunjährige.Seine Mutter arbeitet in Linz als 24-Stunden-Pflegerin; zuvor war sie auch schon im steirischen Irdning. „In Österreich verdient sie dreimal so viel wie in Rumänien. Sie will dort arbeiten, solange es geht“, heißt es in Alins Kindertagesstätte nahe der Stadt Temeswar. Alins Eltern leben getrennt. Wenn die Mutter in Linz ist, kümmert sich seine Tante um ihn und seine drei Geschwister. An den Nachmittag isst, lernt und spielt er in der Kindertagesstätte. Sie ist für ihn zur zweiten Heimat geworden.

Caritas-Chef Landau in einem Kinderheim in Rumänien
Caritas-Chef Landau in einem Kinderheim in Rumänien © KLZ/Macher

Schätzungen zufolge leben etwa 250.000 rumänische Kinder ohne ihre Eltern – da diese zum Arbeiten nach Westeuropa gegangen sind. Euro-Waisen werden die einsamen Kinder genannt. „Die Arbeitsmigration ist eine große Herausforderung. Wir versuchen, in Rumänien zwei verletzlichen Gruppen zu helfen: Kindern und alten Menschen“, sagt Österreichs Caritas-Präsident Michael Landau. Die Caritas steckt hier auch in einem Dilemma: Beschäftigt sie doch in Österreich selbst Pflegerinnen aus Rumänien.Landau verweist auf Projekte, die für faire Bedingungen sorgen sollen, auf Weiterbildungen für Pflegerinnen, die in Österreich aber auch in Rumänien arbeiten. Doch auch er sagt: „Wir brauchen in Österreich ein System in der Pflege, das weniger auf Arbeitsmigration setzt. Zugleich ist das alles ja ein Ausdruck des enormen Wohlstandsgefälles in Europa. Solange das so bleibt, werden Menschen weggehen. Daran muss auf europäischer Ebene gearbeitet werden.“

Cristian Vanea hofft auf einen Neubeginn
Cristian Vanea hofft auf einen Neubeginn © KLZ/Macher