Nach dem verheerenden Einsturz einer Autobahnbrücke in Genua mit mehr als 40 Toten mehren sich in Italien die Schuldzuweisungen. Während die Rettungskräfte am Mittwoch noch immer Leichen zwischen den gewaltigen Trümmern bargen, machten Regierungsmitglieder den privaten Betreiber der Autobahn für das Unglück verantwortlich.

Auch erste Konsequenzen aus dem Unglück werden gezogen: Ialiens Vize-Premier Luigi di Maio will alle Brücken in Italien überprüfen lassen. Das kündigte der Fünf-Sterne-Politiker vor Journalisten am Unglücksort an. Die Regierung wolle damit feststellen, ob es weitere Brücken gibt, die sich in "ähnlich schlechtem Zustand" befinden", sagte di Maio.

Der italienische Regierungschef Giuseppe Conte hat nach dem Brückeneinsturz größere Anstrengungen bei der Kontrolle der Infrastruktur versprochen. "Das, was in Genua passiert ist, ist nicht nur für die Stadt eine tiefe Wunde, sondern auch für Ligurien und ganz Italien", schrieb Conte Mittwochnacht auf Facebook.

Die Tragödie "verbrüdert alle" und dränge darauf, nach den Ursachen zu suchen, erklärte Conte. Er sagte der Bevölkerung zu, dass die Regierung einen außerordentlichen Plan zur Kontrolle der Infrastruktur voranbringen werde. "Die Kontrollen werden sehr streng sein, denn wir können uns keine weiteren Tragödien wie diese erlauben." Am Mittwoch wollte der Regierungschef Verletzte in den Krankenhäusern der Stadt besuchen.

Italien will Staatstrauer ausrufen

Die italienische Regierung will für die mehr als 40 Toten des Brückeneinsturzes von Genua eine nationale Staatstrauer ausrufen. Das kündigte der Präsident der Region Ligurien, Giovanni Toti, am Mittwoch laut Nachrichtenagentur Ansa auf einer Pressekonferenz in Genua an. Wann und wie lange die Staatstrauer gelten soll, war zunächst unklar.

Lückenlose Aufklärung

Außerdem kündigte er eine "detaillierte und lückenlose Untersuchung" an, welche Unternehmen für die Instandhaltung der Morandi-Brücke und wer für welches "Versäumnis" verantwortlich sei. Di Maio warf zudem den Vorgängerregierungen vor, wider besseren Wissens um den schlechten Zustand der Brücken die ökonomischen Interessen der privaten Betreibergesellschaften "stets geschützt zu haben".

Zahlt der Toten steigt weiter

Die vorläufige Zahl der Toten stieg am Mittwoch auf 42 an. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. 16 Menschen seien verletzt, der Zustand von zwölf Menschen sei kritisch, teilte die Präfektur mit. Es werde erwartet, dass die Zahlen weiter steigen, sagte Regionalpräsident Giovanni Toti laut Nachrichtenagentur Ansa nach einem Besuch von Verletzten in einem Krankenhaus zusammen mit Regierungschef Giuseppe Conte. Für den Großteil der Verletzten gebe es gute Heilungschancen. Es gebe aber unter der Brücke noch immer "zahlreiche Vermisste", sagte Toti.

Unter den Toten der Katastrophe sind auch drei Franzosen. Man stehe in engem Kontakt zu den italienischen Behörden, um herauszufinden, ob möglicherweise noch weitere Landsleute bei der Katastrophe ums Leben gekommen seien, teilte das französische Außenministerium mit.

Während eines schweren Unwetters war am Dienstagmittag der Polcevera-Viadukt, der auch Morandi-Brücke genannt wird, in mehr als 40 Metern Höhe auf einem etwa 100 Meter langen Stück eingestürzt. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10, die auch als Urlaubsverbindung "Autostrada dei Fiori" bekannt und eine wichtige Verbindungsstraße nach Südfrankreich, in den Piemont und die Lombardei ist.

Gegen den Betreiber Autostrade per l'Italia seien Schritte eingeleitet worden, um die Lizenz für die Straße zu entziehen und eine Strafe von bis zu 150 Millionen Euro zu verhängen, erklärte Verkehrsminister Danilo Toninelli am Mittwoch auf Facebook. Er forderte das Management zum Rücktritt auf. Auch der Fünf-Sterne-Chef und Vize-Ministerpräsident Luigi Di Maio machte das Unternehmen für die Tragödie verantwortlich.

Auch Innenminister Matteo Salvini sprach sich für einen Entzug der Lizenz aus. Das sei das Mindeste, was man erwarten könne. Ihm zufolge stehen der Sicherheit des Landes aber auch die strengen europäischen Defizitregeln im Wege: Geld, das für die Sicherheit ausgegeben werde, dürfe "nicht nach den strengen (...) Regeln berechnet werden, die Europa uns auferlegt", sagte der EU-kritische Politiker am Mittwoch dem Sender Radio24. "Immer muss man um Erlaubnis fragen, um Geld auszugeben", prangerte er an. Davon dürfe aber nicht die Sicherheit auf den Straßen, bei der Arbeit und in den Schulen, "in denen immer mal wieder die Decken einstürzen", abhängen.

Augenzeugen hatten berichtet, dass kurz vor dem Einsturz ein Blitz in die Brücke eingeschlagen habe. Doch Staatsanwalt Francesco Cozzi ließ im Gespräch mit RaiNews24 erkennen, dass auch die Ermittler von menschlichem Versagen als Ursache ausgehen. Zum jetzigen Zeitpunkt von einem Unglück zu reden, obwohl es sich bei der Brücke um ein "Werk von Menschen" handle, das Instandhaltungen unterzogen worden sei, "erscheint mir ziemlich gewagt", sagte Cozzi.

Die Infrastruktur in Italien ist vielerorts dramatisch veraltet. Die Katastrophe an der "kranken Brücke", wie "Corriere della Sera" sie nennt, lässt nach mehreren weniger dramatischen Einstürzen in den vergangenen Jahren nun die Alarmglocken umso lauter schrillen. Laut der Tageszeitung "La Repubblica" sind um die 300 Brücken und Tunnel marode.

Der Polcevera-Viadukt wurde 1967 eingeweiht und führt im Westen von Genua unter anderem über Gleisanlagen und ein Gewerbegebiet führt, hat eine Gesamtlänge von 1.182 Metern. Zum Zeitpunkt der Tragödie waren laut Betreibergesellschaft Bauarbeiten im Gange.

Papst sicherte Betroffenen Nähe zu

Papst Franziskus hat seine Solidarität mit den Betroffenen von der Brücken-Katastrophe in Genua ausgedrückt. Die Tragödie am Dienstag "hat Opfer gefordert und Fassungslosigkeit in der Bevölkerung" ausgelöst, sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Mittwoch nach dem Angelus-Gebet auf dem Petersplatz. Er sicherte den Angehörigen der Toten, den Verletzten, den Obdachlosen und allen anderen, die wegen des "dramatischen Ereignisses" leiden, seine Nähe zu und rief die Gläubigen zum Gebet auf.

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