Der Verkauf von Tieren in das EU-Ausland boomt seit vielen Jahren. Der bulgarisch-türkische Grenzübergang bei Kapikule ist einer jener Knotenpunkte, an dem die Tiere Europa verlassen. Dort herrschen nun Temperaturen über 40 Grad. In den vergangenen Tagen bildeten sich kilometerlange Staus. Die Rinder und Schafe, die nach stundenlangen Fahrten entladen werden müssten, müssen häufig in den Lkw ausharren – auch, weil rund 500 Maststiere die Entladestationen teilweise blockieren. Die Tiere wiegen mehr als 300 Kilo und dürfen deshalb nicht in die Türkei eingeführt werden.
Die Behörden wiegen neuerdings jedes Tier einzeln, wie Iris Baumgärtner vom Tierschutzbund Zürich berichtet. Die Wartezeiten werden so noch länger. "Jeden Tag verenden hier Tiere", erzählt sie. Das sei vermeidbar, wenn die Transporte besser geplant oder die EU-Richtlinien in den Herkunftsländern eingehalten würden.
Die österreichische EU-Abgeordnete Karin Kadenbach bestätigt: "Die Verordnung 1/2005, in der der Transport von Tieren geregelt ist, wird von den Mitgliedsstaaten oft nicht eingehalten." Dort steht etwa geschrieben, dass Tiere nicht unnötig leiden dürfen.
Kein Verbot in Sicht
In einem Brief an Kadenbach und andere Mitglieder des Parlaments vom 19. Juni 2017 erklärt EU-Kommissar Vytenis Andriukaitis, die Kommission sei sich der Missstände bewusst. Zugleich verweist er auf eine Erhebung der europäischen Gesundheitsbehörde, wonach im Vorjahr 85 Prozent der in Kapikule kontrollierten Tiertransporte der Verordnung entsprachen. Ein Bericht mehrerer Tierschutzorganisationen für den Zeitraum von 2010 bis 2015 (wir berichteten) dokumentiert hingegen nur 30 Prozent rechtskonforme Transporte. Ein Verbot von Lebendtiertransporten sei laut Andriukaitis "nicht geplant". Auf eine angeregte deutliche Verkürzung der Transportzeiten entgegnet der Kommissar, das Thema sei zu "komplex" für eine solche Maßnahme. Stattdessen wolle man die Einhaltung der Richtlinien forcieren, denn laut Kommission werden Verstöße kaum oder gar nicht sanktioniert.
Im Jahr 2019 wird eine Verordnung in Kraft treten, die vor allem verstärkte Kontrollen zum Ziel hat. Zudem gibt es eine Initiative, die einen Untersuchungsausschuss zum Thema der Nicht-Einhaltung der Tiertransport-Verordnung fordert. Ob die dafür erforderlichen 188 Stimmen im EU-Parlament zusammenkommen, bleibt abzuwarten.
Einsame Courage
Dass man nicht auf neue Verordnungen warten muss, um das Leid der Tiere zu mindern, beweist die deutsche Amtstierärztin Ilona Schrumpf. In ihrem Landkreis Elbe-Elster werden seit 2016 im Juli und August keine Langstrecken-Transporte mehr abgefertigt. "Wir müssen das schließlich verantworten", erklärt sie. Mit dieser Entscheidung stehen Schrumpf und ihre Kollegen relativ alleine da. Vom Gesetzgeber fühlen sich die Veterinäre im Kreis im Stich gelassen. Aber Schrumpf will an ihrem Vorgehen festhalten. Für Kadenbach ist ein Ende dieser Transporte unrealistisch. Warum? "Da müssen Sie die Wirtschaft fragen", sagt Schrumpf.
Matthias Reif