Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Harald „Harry“ Neuwirth vor neun Tagen 84-jährig verstorben. Der Ausnahmepianist zählet als Künstler wie als Pädagoge zu den prägenden Köpfen der österreichischen Jazzszene.

Neuwirth wurde als Sohn eines Richters zwar in Wien geboren, verbrachte aber die ersten 13 Jahre in Ried im Innkreis (OÖ). Damals zeichneten ihn zwei Talente aus: für das Tennisspielen und für das Klavierspielen. Bald galt er als musikalisches Wunderkind und wurde nach dem Umzug der Familie nach Graz am dortigen Konservatorium weiter gefördert. Allerdings ging es für ihn nach der Matura zunächst zum Jusstudium, klassisches Klavier studierte er daneben am Mozarteum Salzburg. Weil ihm aber schon so mit 18, 19 via Tonbandgerät Oscar Peterson, Dave Brubeck & Co dazwischenkamen, hieß sein Lebensweg schließlich: Jazz.

Mit dem Bassisten Adelhard Roidinger und dem Schlagzeuger Erich Bachträgl bildete Neuwirth seine erste Band, „Wir Drei“. Internationales Renommee folgte ab 1966 mit dem Erich Kleinschuster Sextett, dem damals bedeutendsten Ensemble des modernen Jazz in Österreich, das mit Größen wie Art Farmer oder Joe Zawinul auf der Bühne stand. 1968 gründete er dann den Harald Neuwirth Consort, bei dem auch die späteren KUG-Jazz-Professoren Karlheinz Miklin und Heinrich von Kalnein spielten. Mit Wolfgang Bauer oder Gunter Falk zählte er zu den „bösen Buben“ des Forum Stadtpark. Mit Fritz Körner gründete er 1965 eine Jazzschule, die es so (außer in Frankfurt) in ganz Europa nicht gab. Dieses Institut am Grazer Konservatorium mündete 1970 in das Institut der Musikhochschule, heute Kunstuniversität. Ihr blieb Neuwirth als Lehrbeauftragter für Improvisation, Harmonielehre und Musiktheorie, später als Institutsvorstand, Hochschulprofessor und Uni-Rat bis 2018 treu.

Sigi Feigl, aktueller Vorstand des Jazzinstituts, schreibt in einem Nachruf auf der Homepage der Kunstuniversität: „Mit großer Trauer musste ich das Ableben von Harald Neuwirth zur Kenntnis nehmen. Viele Generationen von Studierenden konnten von den großartigen Fähigkeiten, die er als Lehrender am Institut Jazz zu vermitteln wusste, profitieren und hatten dadurch die Möglichkeit ebenfalls eine höchst erfolgreiche künstlerische Laufbahn zu erlangen. In seinen verschiedenen Funktionen an der Kunstuniversität Graz war Harry Neuwirth immer bestrebt, für das Institut Jazz die größtmögliche Anerkennung zu generieren und seine gestalterischen Ideen sind bis heute ein Bestandteil des institutionellen Geschehens. Ich bin froh, dass ich Harry Neuwirth sowohl als ehemaliger Studierender, als auch Kollege am Institut wie als Institutsvorstand erleben und schätzen durfte.“

Der im steirischen Schwanberg beheimatete Neuwirth, Vater von fünf Kindern, darunter Komponistin Olga Neuwirth (54), und Bruder des Komponisten Gösta Neuwirth (86), blieb zeitlebens ein Neugieriger auf der Suche nach dem Außergewöhnlichen: Er unterrichtete von 1987 bis zu seiner Pensionierung 2007 auch am Kärntner Landeskonservatorium. Er wirkte als Komponist und Arrangeur. Er schrieb eine Jazzmesse, lieferte Soundtracks zu mehreren Fernsehfilmen oder für Talenteshows im ORF, orchestrierte eine Platte für Heinrich Walcher, verantwortete rund 25 Bühnenmusiken für das Schauspielhaus Graz, zudem für das Volkstheater und die Josefstadt  in Wien und für das Stück „Memory Hotel“ seines Freundes Wolfgang Bauer. „Außergewöhnlich“ war auch sein Einsatz beim Eurovision Song Contest 1988 in Dublin: Das von ihm arrangierte und dirigierte „Lisa, Mona Lisa“, gesungen von Wilfried, erreichte mit null Punkten den letzten Platz.

2004 erlebte Harald Neuwirth übrigens bei einem Türkei-Urlaub eine böse Überraschung: Ein bei einem Ausflug von seinem zehnjährigen Sohn gefundener "interessanter Stein" wurde dem damals 65-Jährigen bei der Ausreise zum Verhängnis. Nach türkischem Gesetz ist die Ausfuhr von antiken Steinen oder Fossilien strengstens verboten. Beim Check bei der Ausreise am Flughafen in Antalya wurde er festgenommen, seine Frau hingegen durfte mit den Kindern heimreisen. Der Verdacht auf Antiquitätenschmuggel wurde letztlich fallen gelassen, der Steirer kam aber erst nach 40-tägiger Untersuchungshaft unter erbärmlichen Bedingungen wieder frei.

Mit Harald Neuwirth, dem leidenschaftlichen Jazzpianisten, -komponisten und -pädagogen, dem  „Architekten“ des international prägenden Grazer Ausbildungsmodells, ist nun eine Galionsfigur der Grazer Jazzgeschichte verstorben. Die Verabschiedung findet am 4. April um 14 Uhr in der Feuerhalle Graz statt.

Ausschnitt aus: Grazer Messe im Jazzstil (1978)