„Familie Wiesner mit Kleinkind sucht Liegenschaft.“ 300 solcher Flugzettel verteilte Manfred Wiesner in der Badesiedlung bei Altenberg an der Donau, auf der Suche nach Baugrund für ein Ferienhaus. Als die Planungen schon im Gang waren, traf ein zweites Angebot ein. Das alte Stelzenhaus am Silberseeweg gefiel der Familie und sie schlug 2018 zu. „Innen fanden wir leere Wespennester, groß wie ein Medizinball, zwischen den Wänden zur Isolierung Luftmatratzen und Zeitungen aus der Besatzungszeit“, erzählt der Immobilienentwickler. MO-Architekten gestalteten die 35 Quadratmeter große Wohnfläche mit Stilanleihen aus dem Schiffsbau zum gemütlichen Rückzugsort um - ein ideales Refugium für die inzwischen vierköpfige Familie während der Corona-Pandemie.
Als das dritte Kind kam, war das Haus definitiv zu klein geworden. Die Familie bat Andreas Etzelstorfer, der in der Siedlung selbst ein Haus besitzt und umbaut, die Erweiterung zu planen. Wollte er wirklich eine Baustelle vor der eigenen Haustüre, fragte sich der Architekt. „Irgendwann möchte man auch entspannen“. Dann aber reizte ihn die Aufgabe doch, und er willigte ein.
Tatiana Wiesner wünschte sich auch im Zubau Bullaugen-Fenster. „So etwas habe ich noch nie gemacht“, erzählt Etzelstorfer, der in Wien das Büro „Backraum-Architektur“ führt. „Rund und Eckig sind schwer zu kombinieren“, erklärt Etzelstorfer seine anfänglichen Bedenken. Nun ragt das strahlend weiße Gebäude wie eine elegante, gestrandete Yacht aus dem Garten. Die Familie nützt jede freie Minute, in der Nähe des Donau-Altarms oberhalb des Kraftwerks Greifenstein Ruhe und Erholung zu finden.
Durch den Umbau ist die Wohnfläche auf 105 Quadratmeter angewachsen. Dazu kommen noch die Terrassen. Ein Schlafzimmer für die Kinder bietet der Zubau, ein zweites Badezimmer, ein neues Wohnzimmer. Der ursprüngliche Wohnraum des Altbaus geht im ersten Stock bruchlos zum Neubau über. Eine Eichentreppe führt ins Obergeschoß, das sich zum Wasser hin auf eine runde Terrasse öffnet. Das Flachdach hat Etzelstorfer mit einer Außentreppe begehbar gemacht. Von hier aus schweift der Blick ungehindert bis zum Wasser und zur Burg Greifenstein.
Die in der Tischlerei vorgeschnittenen Holzriegel-Bauteile musste ein großer Kran durch die schmalen Gassen der Siedlung zum Grundstück bringen. Für die Schalung griff der Architekt zu den schlichten Brettern, die schon den Altbau prägten. Das gibt dem Haus sein einheitliches Aussehen. Nur bei genauerem Hinsehen bemerkt man die Bruchlinie zwischen Alt und Neu, die Etzelstorfer nicht zu kaschieren trachtete. Verschiebbare Paneele mit Lamellen gewährleisten, dass sich das Haus an heißen Tagen nicht zu sehr aufheizt. Der schmale Balkon, der das Obergeschoß umläuft, nimmt dem Bau die Schwere.
Die beiden Stockwerke sitzen auf Stelzen, wie alle Häuser in der Badesiedlung. Bei Hochwasser dringen die Fluten ungehindert ins Erdgeschoß. Die Bauordnung schreibt offene Luken vor, um die Überflutung zu ermöglichen, ohne das Haus zu schädigen. Hier haben die Wiesners ihre Werkbank eingerichtet, hier lagern Luftmatratzen und alles, was dem Wasser standhalten kann.
Ungefähr alle zwölf Jahre steigt der Wasserspiegel so bedrohlich an, dass die Fluten durch die Öffnungen ins unterste Geschoß eindringen. Anders als im Strombad Kritzendorf etwas weiter flussabwärts, das nach der Überschwemmung stets mit Schlammmassen zu kämpfen hat, ist das Wasser hier klar. Schwillt die Flut ab, bleiben nur tote Fische zurück, erzählt Etzelstorfer. In Scheibtruhen werden sie fortgebracht, dann ist alles wieder wie zuvor.
Die skeptischen Nachbarn, die Neubauten stets mit Misstrauen verfolgen, freuen sich an dem Bau, der sich harmonisch in das alte Ensemble einfügt. Dass Familie Wiesner seit der Fertigstellung 2022 etwa 50 Tage im Jahr hier verbringt, kann als Kompliment an den Architekten verstanden werden.