5.30 Der Gabriachbach in Andritz schlängelt sich durch sattgrünes Gras. Dieser Tage wirkt er harmlos, manchmal aber schwillt das Rinnsal an und setzt die Gärten der Umgebung unter Wasser. Die Gemeinde baut gerade mit riesigen Felsblöcken Rückhaltebecken zum Schutz der Anrainer und ihrer alten Vorstadthäuser, zwischen die sich überdimensionierte Neubauten zwängen, gewinnoptimierte Investorenprojekte.

Das hölzerne Atelierhaus Wurtinger kann man leicht übersehen. Das heimische Lärchenholz der Fassade ist zwanzig Jahre nach der Errichtung verwittert, gut angepasst an Baumrinden und den Gartenzaun. Der durchlaufende Holzsteg an der Vorderfront lädt zum Niedersetzen ein, als wäre das Haus ein überdimensioniertes Gartenmöbel. Damit das Wasser bei Überschwemmungen ablaufen kann, ruht es auf zwei Fundamentstreifen.

Hell hatte das Holz geleuchtet, als der deutsche Künstler Franz Wurtinger zur Jahrtausendwende seine neue Wirkungsstätte bezog. Der Kärntner Architekt Randolf Riessner hatte das Atelier für ihn auf einem schmalen Wiesenstreifen neben dem alten Haus aus den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts errichtet. Wann immer Wurtinger dem heimatlichen Augsburg entkommen wollte, zog er sich ins Grazer Atelier zurück, wie später sein Sohn Wilfried. Das alte Haus vermietete man an Familie Lässer, die es später erwarb. Als Wilfried vor zwei Jahren starb, kauften die Lässers das Atelier dazu.

"Da sind noch Spuren von Wilfrieds Malerei", sagt Erika Lässer-Rotter und deutet auf Farbkleckse an der Wand, die den hohen Hauptraum von der Küche im Parterre und dem Schlafraum im Oberstock trennt. Hier hatten Vater und Sohn Wurtinger ihre Leinwände fixiert, hier steht jetzt Lässer-Rotters Staffelei. Sanftes Licht fällt durch das schmale Fenster an der Breitseite und durch die große Glasfassade im Norden. Die schräge Decke, die vom Obergeschoß leicht zur Glaswand abfällt, verleiht dem Raum Spannung und führt über das Blechdach den Regen ab. An zwei waagrechten Schienen sorgen unauffällige Spotlights für flexible Beleuchtung.

Die Holztreppe ins Obergeschoß führt geradeaus ins kleine Bad, rechts geht es ins Schlafzimmer mit Aussicht. Zwei Fenster geben den Blick frei auf die Nachbarschaft, ein drittes in den hohen Innenraum. Eine verschiebbare Holzplatte verdeckt es bei Bedarf ganz.

Eine feine Balance der Proportionen

Heute nutzt Erika Lässer-Rotter das Atelier. Die Malerin, die bei Adolf Osterider und Gerhard Lojen ihren eigenen Stil der Landschaftsmalerei entwickelt hat, hängt an dem Gebäude. Es hat, was ihrer Ansicht nach vielen Neubauten in der Umgebung fehlt: jene feine Balance der Proportionen, die auch spürt, wer nicht vom Fach ist. "Man muss sich gut überlegen, ob man es verändern will." Auch Lothar Lässer, der mit seinem Akkordeon und musikalischen Weggefährten neue musikalische Wege sucht, nutzt den Raum gelegentlich für Proben. Die unregelmäßige Oberfläche der Grobspanplatten an den Seitenwänden und die schräge Decke sorgen für eine warme Akustik.

Harmonischer Gesamteindruck überzeugt

Was ihr an ihrem neuen Arbeitsplatz, der eigentlich Tochter Amrei gehört, besonders gefällt? "Man kann sich gut sammeln, erholen", sagt die Mutter. Eine "Wohnzelle" nennt Lässer-Rotter das Atelier. Auch der natürliche Rasen vor dem Haus, mit seinen alten Bäumen und dem Wiesen-Schaumkraut, trage zum harmonischen Gesamteindruck bei. "Man ist sehr geschützt, auch weil das Haus nicht so viele Öffnungen hat", sagt sie. "Man bleibt bei sich."

Ein Maler kann grelles Licht und harte Schatten nicht brauchen

Randolf Riessner erinnert sich noch gerne an die Zusammenarbeit mit seinem Bauherren. Gemeinsam wälzten sie Ideen, die der junge Architekt in konkrete Pläne verwandelte. Weil ein Maler grelles Licht und harte Schatten nicht brauchen kann, richtete er die Glasfassade nach Norden aus. Die ursprünglich hellgraue Fläche am Ende der anschließenden Terrasse reflektiert mildes Licht in den Raum und verlängert den Wohnraum ins Freie.

Sonne und Regen werden die unbehandelte Holzoberfläche weiter verwandeln und dem Atelier in den kommenden Jahren das Aussehen eines silbergrauen Quaders verleihen, hofft Riessner, der diese Spuren des Alterns beim Bau einkalkuliert hat. Seine ungewöhnliche 
Raumidee aber widersteht dem Zahn der Zeit.