Die Verteidiger des ehemaligen Audi-Chefs Rupert Stadler haben im Dieselprozess der Münchner Justiz ein "grob unfaires" Verfahren vorgeworfen und die Abtrennung des Prozesses gegen ihren Mandanten gefordert. Nur weil der ehemalige Vorstandschef "als Galionsfigur dabei sein musste", müsse er jetzt zwei Jahre lang mit drei Motorentwicklern vor Gericht stehen, sagte sein Anwalt Gerson Trüg am Dienstag vor dem Landgericht.

Die drei Ingenieure sind angeklagt, zusammen ab 2008 die Manipulation von Dieselmotoren für Autos in den USA und Europa veranlasst zu haben. Stadler wird vorgeworfen, im September 2015 von Manipulationen erfahren, aber den Verkauf in Europa nicht gestoppt zu haben. "Das ist ein völlig anderes Verfahren, künstlich daran angehängt", sagte Trüg. Bei der Verlesung der Anklage sei der Name Stadler nach fünf Stunden erstmals aufgetaucht.

"Anklage in Schieflage"

Stadler werde eklatant rechtswidrig schlechter behandelt als andere Angeklagte. Dutzende Zeugen könnten ihre Aussage in diesem ersten Audi-Prozess verweigern, weil sie derzeit selbst noch Beschuldigte seien. Die Rechte der Verteidigung würden systematisch beschnitten, die ganze Anklage sei in "Schieflage", die "erhobenen Vorwürfe unzutreffend", sagte der Anwalt.

Zuvor hatten sich zwei Ingenieure in gegenseitigen Schuldzuweisungen geübt. In einer Erklärung der Verteidiger gab der angeklagte Motorentwickler Giovanni P. seine Beteiligung an den Abgas-Tricksereien zu, sah sich aber in der Rolle eines untergeordneten Befehlsempfängers: "Alles wurde von oben bestimmt", sagte sein Anwalt Walter Lechner am zweiten Tag des Audi-Prozesses.

Die Verteidiger des früheren Audi-Motorenchefs Wolfgang Hatz warfen Giovanni P. Lügen vor. "Herr Hatz hat derartiges nicht gebilligt", und er hätte das auch "niemals geduldet", sagte sein Anwalt Gerson Trüg. Die drei Ingenieure sollen dafür gesorgt haben, dass die großen Audi-Dieselmotoren die Abgas-Grenzwerte mit Hilfe illegaler Software auf dem Prüfstand einhalten, auf der Straße aber überschreiten. Das sollte laut Anklage ermöglichen, die Autos ab 2009 ohne nachträglichen Einbau größerer Adblue-Tanks zur Abgasreinigung zu verkaufen.

Beteiligung an den Abgas-Tricksereien

Der ehemalige Leiter der Abgasnachbehandlung bei Audi, Henning L., gestand seine Beteiligung an den Abgas-Tricksereien, betonte aber seine heutige Rolle als Aufklärer. Er und seine Mitarbeiter hätten wesentliche Teile der Schummelsoftware eingesetzt, sagte sein Verteidiger Maximilian Müller. "Aus seiner Sicht gab es bei Audi keine Entscheidung, eine Schummel-Software zu entwickeln." Das sei vielmehr das Ergebnis einer "schleichenden Entwicklung" gewesen: Das Diesel-Entwicklerteam habe erkannt, dass es vermeintlich unverrückbare Vorgaben von anderen Teams und von Vorgesetzen nicht erfüllen konnte.

Statt offen zu erklären, dass sie an ihrer Aufgabe gescheitert waren, hätten die Entwickler schließlich Abschalteinrichtungen eingebaut. Das liege auch an der damaligen autoritären Unternehmenskultur bei Audi und im VW-Konzern: Niemand, der direkt mit Manipulation befasst war, sei mutig genug gewesen, "die Reißleine zu ziehen". Vorgesetzten sei gewiss klar gewesen, dass es ohne "Bescheißen" nicht gehe. Aber sein Mandant betreibe "keine bloße Schuldzuweisung nach oben", betonte Müller.

Henning L. war im Gegensatz zu seinen Mitangeklagten nie in Untersuchungshaft. Stadler habe L. als Mitglied einer Task-Force im Mai 2016 "um rückhaltlose Aufklärung" gebeten. L. habe dann aus eigenem Antrieb entschieden, den Behörden in den USA und in Deutschland sein Wissen offenzulegen. "Seitdem liefert er", sagte der Verteidiger.

"Mitwirkung offen eingeräumt"

Der Chef von Henning L., der Abteilungsleiter Giovanni P., "hat seine Mitwirkung offen eingeräumt", wie sein Verteidiger Lechner sagte. Aber er betonte: "Alles wurde von oben bestimmt". Die Probleme mit den zu kleinen Adblue-Tanks für die Abgasreinigung seien "allen Beteiligten bis zur Konzernspitze von VW und Audi bekannt" gewesen. Die strategische Entscheidung habe der Vorstand getroffen. Auf die Anklagebank gehöre "das Unternehmen Audi AG". Giovanni P. sei 2001 mit Hatz von Fiat zu Audi gekommen und habe als Abteilungsleiter nur "die Anweisungen von oben an seine Mitarbeiter weitergegeben". Er habe keinerlei Entscheidungsbefugnis gehabt, seinen Vorgesetzen nichts verheimlicht und sie niemals getäuscht.

Dagegen sagte Hatz' Verteidiger, sein Mandant habe nie eine Manipulation veranlasst. Der Vorwurf der Anklgae, dass Hatz Giovanni P. bei dessen Manipulationen bestärkt und sie sämtlich "abgesegnet" habe, sei unhaltbar: Die einzige Quelle dafür seien "unwahre Angaben von Herrn P.", sagte Trüg. Es gebe keine Mail, keine SMS, keinen einzigen schriftlichen Beleg für eine solche Behauptung, trotz jahrelanger Ermittlungen. Das spreche klar "für die Unschuld von Herrn Hatz", sagte sein Verteidiger. In den nächsten Wochen sollen die Angeklagten selbst nacheinander zu Wort kommen. Alle vier haben umfassende Aussagen angekündigt.

Keine Befangenheit

Die Autos der Richter führen indessen nicht zu Problemen. Der Vorsitzende Richter Stefan Weickert beantwortete am Dienstag einen Auskunftsantrag mehrerer Verteidiger, die wissen wollten, ob die Richter, Schöffen und deren Familien Autos mit manipulierten Motoren besitzen oder besessen haben. Dies hätte zu einer möglichen Befangenheit führen können. Allerdings trifft dies auf keinen der Berufsrichter zu.

Berührung mit Diesel-Motoren aus dem VW-Konzern hatte demnach nur ein Schöffe mit einem Dienstwagen mit einem neueren Motor, der ihm zudem nicht gehörte. Hinzu kommt ein Ersatzschöffe mit einem inzwischen verschrotteten Gebrauchtwagen Baujahr 2001. Um mit Corona-Begriffen zu sprechen, seien sie also nur Kontaktpersonen 4. Grades, scherzte Weickert.