Deutsche Dieselfahrer hatten zuletzt einiges zu verdauen: Abgasbetrug, Werkstattbesuche, dramatischer Wertverlust auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Jetzt kommen Fahrverbote, nach Hamburg, Stuttgart, Frankfurt und Berlin bald vielleicht auch in Mainz.

Die rheinland-pfälzische Landeshauptstadt warnte am Montag zwar vor gravierenden Folgen - und Bundeskanzlerin Angela Merkel würde viele Verbote am liebsten kippen - doch beruhigen kann das die Dieselfahrer kaum. Am liebsten würden viele ihren Wagen wohl einfach zurückgeben. Eine neue Verbraucherklage, die am 1. November eingereicht wird, macht den Betroffenen des VW-Skandals jetzt zumindest Hoffnung auf Schadenersatz.

Rund 2,5 Millionen Autos hatte der Konzern nach "Dieselgate" zurückgerufen - die Besitzer können sich nun der Musterfeststellungsklage des Bundesverbands der Verbraucherzentralen anschließen. Mehrere Zehntausend dürften das tun, meinen die Anwälte. Schon jetzt gebe es um die 30.000 Anfragen und Interessenten.

Was ist das für eine Klage?

Die Musterfeststellungsklage ist eine Art "Einer-für-alle"-Klage. Das Instrument ist neu, der VW-Fall der erste Praxistest. Verbraucherschutzverbände klagen dabei stellvertretend für Gruppen von Betroffenen - mit weniger Aufwand und Risiko für den Einzelnen.

Können alle Dieselfahrer mitmachen?

Nein, erstmal nicht. Die Verbände klagen nur für Dieselfahrer, die vom Volkswagen-Pflichtrückruf betroffen waren und noch nicht selbst geklagt haben. Das betrifft Diesel von VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA 189 (Vierzylinder, Hubraum: 1,2 oder 1,6 oder 2,0 Liter), die nach dem 1. November 2008 verkauft wurden. Auch wer sein Auto inzwischen verkauft hat oder verschrotten ließ, kann mitmachen.

Wie funktioniert die Musterfeststellungsklage?

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) arbeitet zehn Fälle auf und reicht seine Klage auf dieser Grundlage am 1. November beim Oberlandesgericht Braunschweig ein. An diesem Tag tritt das Gesetz in Kraft. Hält das Gericht die Klage für zulässig, können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Das soll einfach und ohne Anwälte möglich sein. In zwei Monaten müssen insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Wenn die Verhandlung begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen.

Was kann dabei rauskommen?

Schadenersatz wird es wohl nicht direkt geben. Bei dem Verfahren geht es erstmal nur darum, ob Volkswagen unrechtmäßig gehandelt hat. Wird den Kunden ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen, müssen sie dies selbst durchsetzen. Auf Grundlage des Musterprozesses ist das aber einfacher als ohne. Noch bequemer wäre ein Vergleich zwischen VW und den Kunden. "Unser Ziel ist, dass Autobesitzer entweder das Auto zurückgeben können und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen, oder wenn sie es behalten wollen den Wertverlust kompensiert bekommen, oder wenn sie das Auto bereits verkauft haben, eine entsprechende Entschädigung bekommen", sagt vzbv-Vorstand Klaus Müller.

Hab ich ein Risiko, wenn ich mich melde?

Das Prozesskostenrisiko trägt allein der Bundesverband der Verbraucherzentralen. Wer im Klageregister steht, kann das Urteil also in Ruhe abwarten und dann entscheiden, wie er weitermacht. Wenn die Verbraucherzentralen verlieren, sind alle Eingetragenen allerdings an diese Entscheidung gebunden. Sie können also nicht mehr vor anderen Gerichten auf Schadenersatz klagen.

Wie groß sind die Chancen auf Erfolg?

Die Anwälte sind sehr zuversichtlich, Volkswagen dagegen sieht wenig Aussichten für die Klage. Wer recht hat, lässt sich schlecht abschätzen - zumal es so eine Klage in Deutschland noch nie gab.

Wie lange dauert es, bis Dieselfahrer Geld sehen könnten?

Das kommt darauf an, ob VW einem Vergleich mit den Kunden zustimmt. Dann könnte es schnell gehen. Geht der Autobauer durch alle Instanzen, könnte es aber Jahre dauern. Die Kläger rechnen mit einer mündlichen Verhandlung 2019 und einer Gerichtsentscheidung 2020. Danach könnte der Fall an den Bundesgerichtshof gehen, der wohl 2022 entscheiden würde. Danach müsste in weiteren Verhandlungen noch über die Höhe des individuellen Schadenersatzes im entschieden werden.

Wie hoch könnte der Schadenersatz sein?

Das lässt sich noch nicht genau sagen. Anwalt Ralf Stoll, der die Klage für die Verbraucherzentralen betreut, hält 15 bis 20 Prozent des Kaufpreises für angemessen. In den bisherigen Fällen, die zugunsten der Kläger ausgingen, hätten die Richter den Betroffenen zwischen 7 und 25 Prozent zugestanden. Zahlreiche Verfahren wurden allerdings zugunsten von Volkswagen entschieden, die Kläger erhielten also nichts.

Könnten das Diesel-Paket noch etwas ändern?

Der Verband und seine Anwälte gehen nicht davon aus. Auch die Software-Updates spielten wohl keine Rolle. "Der Schaden ist bereits mit dem Kauf des Autos entstanden und durch ein Update nicht wettzumachen", sagt der vzbv. Auch Stoll hält die Nachrüstungs- und Prämienversprechen der Bundesregierung nicht für umfassend genug, um den Prozess zu beeinflussen. Die Fahrverbote wirkten sich deshalb nicht aus, weil man nicht behaupten könne, sie seien allein wegen des Dieselskandals eingeführt worden.

Wie ist der Stand bei anderen Kundenklagen?

Volkswagen zufolge waren im September rund 23.800 Verfahren von Diesel-Besitzern gegen Händler oder Hersteller anhängig. Mehr als 6.000 Urteile gab es schon. Laut dem Konzern blieben die Kundenklagen vor Landgerichten überwiegend erfolglos. Oberlandesgerichte hätten in zwölf Fällen im Sinne von Volkswagen und der Händler entschieden. Doch oft komme es gar nicht zum Urteil, weil VW schon vorher per Vergleich einer Entschädigung zustimme, sagt Stoll. Bei Einzelklagen mit Erfolgsaussicht bot VW Klägern laut ADAC gar Geld für ein Stillschweige-Abkommen an.