Die Deutsche Bahn (DB) ist vorerst damit gescheitert, den für Montag und Dienstag angekündigten Warnstreik im Fernverkehr noch abzuwenden. Nach ihren Angaben gab es bis zum späten Donnerstagabend Gespräche mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Deren Verhandlungsführer Kristian Loroch sprach in der Nacht zu Freitag von "Scheinangeboten". Nach aktuellem Stand werde der Warnstreik stattfinden.
Die Gewerkschaft habe der Bahn aber ein Ultimatum gesetzt, im Laufe des Freitags auf sie zuzukommen "und sich zu besinnen". Die EVG hatte die Beschäftigten am Donnerstag zum dritten Warnstreik in der laufenden Tarifrunde aufgerufen. Der Ausstand soll von Sonntagabend, 22.00 Uhr, bis Dienstagabend, 24.00 Uhr, dauern. Die Deutsche Bahn entschied, in dieser Zeit den Fernverkehr komplett einzustellen. Auch bei DB Regio wird demnach kaum ein Zug fahren.
Verkehr nach Österreich kommt zum Erliegen
Die Streiks werden Züge von und nach Österreich und Verbindungen zwischen Salzburg und Tirol über das Deutsche Eck zum Erliegen bringen, hatten die ÖBB auf APA-Anfrage mitgeteilt. "Die Auswirkungen und Ausfälle werden diesmal gravierender und länger andauern als bei den letzten Streiks in Deutschland", warnen die ÖBB. Alle betroffenen Reisenden werden gebeten, auf nicht notwendige Fahrten zu verzichten oder auf alternative Verkehrsmittel umzusteigen. Die Detailinformationen über betroffene Verbindungen werden laufend über die Homepage oebb.at bzw. die ÖBB Fahrplanauskunft SCOTTY aktualisiert.
Auch kaum mehr Güterverkehr möglich
Zum Warnstreik in Deutschland sind auch die sogenannten Fahrdienstleiter aufgerufen, die den täglichen Bahnverkehr auf dem gesamten deutschen Schienennetz koordinieren. Deshalb sind Bahn-Unternehmen betroffen, die am Tarifkonflikt gar nicht beteiligt sind. Auch der Güterverkehr dürfte weitgehend zum Erliegen kommen.
"Kein Grund für Warnstreik"
Aus Sicht der Deutschen Bahn gibt es keinen Grund mehr für den Warnstreik. "In intensiven Gesprächen bis zum späten Donnerstagabend" habe man der EVG zugesagt, ihrer vor Monaten erhobenen Forderung nach einer Abbildung des gesetzlichen Mindestlohns nachzukommen, teilte der Konzern gegen Mitternacht mit. Etwa 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erreichen den Mindestlohn bisher nur über Zulagen. Insgesamt verhandelt die EVG für 180.000 Beschäftigte bei der DB und weitere 50.000 bei weiteren Bahn-Unternehmen.
"Forderung zum Mindestlohn erfüllt"
"Wir haben die Forderung zum Mindestlohn erfüllt, jetzt steht die EVG im Wort", hob DB-Personalvorstand Martin Seiler hervor. "Die EVG muss nun ihre Zusage einhalten und den 50-stündigen Warnstreik absagen." EVG-Verhandlungsführer Loroch sprach von einem "Scheinangebot" der Bahn. "Der Arbeitgeber hat am Ende nach langwierigen Gesprächen eine Lösungsoption auf den Tisch gelegt, die für uns diskussionswürdig war. Nachdem wir angefangen haben, diese zu diskutieren, hat er dann einen Rückzieher gemacht."
Forderung nach Notbetrieb
Die Güter-Konkurrenten forderten die Deutsche Bahn auf, einen Notbetrieb zu organisieren. "Die nicht im Tarifkonflikt stehenden Unternehmen dürfen weder vorsätzlich noch fahrlässig indirekt geschädigt werden", heißt es in einem Schreiben des Netzwerks Europäischer Eisenbahnen an die Bahn-Infrastruktursparte DB Netz.
Grundsätzlich sei angesichts eines zweitägigen Warnstreiks auf der Schiene aber nicht zu erwarten, dass die deutsche Wirtschaft in die Knie gezwungen werde, heißt es vom Güterbahn-Verband. Zwar gebe es Industriezweige, die zeitkritisch kalkulierten wie die Auto- oder die Mineralölindustrie. Doch auch dort dauere der Warnstreik für ernsthafte Auswirkungen nicht lang genug.
Einstellung für 50 Stunden "unnotwendig"
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, hält es für unnötig, dass die Bahn den Fernverkehr für 50 Stunden einstellt. "Die EVG ist bei der Netztochter DB Netz nicht so stark organisiert, dass die Deutsche Bahn gezwungen wäre, den Schienenverkehr einzustellen", sagte Weselsky dem Nachrichtenportal "The Pioneer" (Freitag).
Die kleinere GDL rivalisiert im Bahn-Konzern mit der EVG um Mitglieder und Einfluss. Weselsky sagte: "Ich bin mir sicher, dass es keinen Abschluss geben wird, bevor wir unsere Forderungen aufgestellt haben." Die GDL verhandelt neue Tarifverträge für die bei ihr organisierten Lokomotivführer und das Zugpersonal ab Spätsommer. Am 5. Juni will die GDL ihre Forderungen offiziell verkünden.