Die Weltwirtschaft wird in diesem Jahr nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds noch etwas langsamer wachsen als ohnehin schon gedacht. Der IWF kappte seine Prognosen für 2023 und 2024 am Dienstag um jeweils 0,1 Punkte auf 2,8 und 3,0 Prozent, nachdem es 2022 noch 3,4 Prozent waren. Der Währungsfonds prognostiziert für Österreich ein reales Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent im laufenden Jahr und von 1,1 Prozent im kommenden Jahr.

Zum Vergleich: Wifo und IHS schätzten Ende März in ihrer Frühjahrsprognose ein heimisches BIP-Wachstum von 0,3 Prozent bzw. 0,5 Prozent (2023) und von 1,8 Prozent bzw. 1,4 Prozent (2024).

Auch Zinserhöhungen fordern weiter ihren Tribut

Die Weltwirtschaft wird im laufenden Jahr zumindest einen Boden finden, auch wenn die mittelfristigen Perspektiven gedämpft sind. Der Krieg in der Ukraine bremst vor allem die Industriestaaten. Zugpferde sind weltweit besonders Indien und China, nachdem die Volksrepublik die strengen Corona-Restriktionen gelockert hat. Deutschland gehört zu den wenigen Ländern, denen der IWF dieses Jahr kein Wachstum zutraut. Sorgen macht sich die Finanzorganisation, die Ländern in Not unter die Arme greift, zudem um die Stabilität des Finanzsystems.

Die starken Zinserhöhungen zur Bekämpfung der hohen Inflation seit dem russischen Angriff auf die Ukraine vor mehr als einem Jahr fordern weiter ihren Tribut. Die US-Wirtschaft dürfte 2023 und 2024 nur um 1,6 beziehungsweise 1,1 Prozent wachsen, wie aus dem neuen Weltwirtschaftsausblick des IWF hervorgeht, der in Washington veröffentlicht wurde. Gegenüber der vergangenen Schätzung im Jänner ist der IWF damit etwas optimistischer, auch wenn es im langjährigen Vergleich magere Werte sind. Die Eurozone soll um 0,8 und 1,4 Prozent zulegen. Für Deutschland ist der IWF pessimistischer und rechnet dieses Jahr mit einem Minus von 0,1 Prozent und 2024 dann mit einem Plus von 1,1 Prozent. Auch Großbritanniens Wirtschaft dürfte dieses Jahr schrumpfen, mit 0,3 Prozent allerdings nicht ganz so stark wie noch im Jänner befürchtet.

"Chinas Wirtschaft erholt sich kräftig"

"Viele Schwellen- und Entwicklungsländer nehmen Fahrt auf", sagte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas. China traut der IWF nach der Abkehr von den strikten Coronamaßnahmen für dieses und nächstes Jahr Wachstumsraten von 5,2 und 4,5 Prozent zu, nachdem es 2022 nur 3,0 Prozent waren. "Chinas wieder geöffnete Wirtschaft erholt sich kräftig." Indien dürfte um 5,9 und 6,3 Prozent zulegen.

Die russische Wirtschaft wird nach Einschätzung des IWF trotz umfangreicher Sanktionen des Westens spürbar wachsen. Für dieses und nächstes Jahr prognostiziert der Internationale Währungsfonds Steigerungen um 0,7 und 1,3 Prozent. Damit wurde die Schätzung für 2023 aus dem Jänner um 0,4 Prozentpunkte angehoben, die für 2024 aber um 0,8 Punkte gesenkt. Im Vergleich mit 2022 sind die Perspektiven für Russland deutlich besser. Im vergangenen Jahr war die russische Wirtschaft noch um 2,1 Prozent geschrumpft.

Russland greift seit Ende Februar 2022 die Ukraine an. Die Invasion hat die Inflationsraten rund um den Globus nach oben getrieben, was kräftige Zinserhöhungen und weniger Wachstum in vielen Ländern nach sich gezogen hat. Der Westen, der die Ukraine mit Geld und Waffen unterstützt, hat die ökonomischen Beziehungen zu Russland weitgehend auf Eis gelegt, was vor allem mit höheren Energiekosten einhergeht.

Strukturelle Abschwächung

In fünf Jahren dürfte das globale Wachstum bei drei Prozent liegen – also in etwa auf dem jetzigen Niveau. 2011 hatte die mittelfristige Perspektive noch 4,6 Prozent betragen. Als Gründe der strukturellen Abschwächung gelten weniger rasant wachsende Länder wie China und Südkorea, Folgen der Coronapandemie, ausbleibende Strukturreformen, weniger Innovationen und eine zunehmende Spaltung der Welt aufgrund politischer Konflikte.

Der jüngste Kollaps von Banken in den USA und der Schweiz, der Rettungsaktionen von Staatsseite beziehungsweise von Wettbewerbern erforderlich machte, zeigt laut IWF, wie verwundbar die Branche weiter ist. "Unter der Oberfläche brauen sich Turbulenzen zusammen, und die Lage ist ziemlich fragil", so der IWF. Dies sei eine der Nebenwirkungen der kräftigen Zinserhöhungen zur Eindämmung der Inflation. Außerdem bleibe die hohe Inflation, angetrieben von höheren Energie- und Lebensmittelpreisen, ein Problem. Die Finanzbranche sei zu selbstgefällig und habe in den Bilanzen immer wieder strukturelle Probleme, die zu Liquiditätsschwierigkeiten führen könnten. Das habe sich zuletzt in Großbritannien und den USA gezeigt, Maßnahmen der Aufseher und der Notenbanken hätten aber Schlimmeres verhindert. Es gebe trotzdem "signifikante Schwachstellen". In der Natur nervöser Investoren an den Börsen liege es, diese Schwachstellen zu testen und offenzulegen. Das könnte beispielsweise Banken mit bestimmten Kreditrisiken, Zinsabhängigkeiten oder kurzfristiger Refinanzierung treffen.

Weltwirtschaft "in einer verzwickten Lage"

Sollte die Finanzbranche vorsichtiger werden müssen, weil die eigenen Refinanzierungskosten steigen, könnte das Wachstum der Weltwirtschaft 2023 noch einmal um 0,3 Punkte niedriger ausfallen. In einem noch schlechteren Szenario mit sich plötzlich ändernden Finanzierungsbedingungen könnte das globale Wachstum sogar nur ein Prozent betragen. "Wir schätzen die Wahrscheinlichkeit dafür auf rund 15 Prozent", sagte IWF-Experte Gourinchas. Die Weltwirtschaft sei insgesamt in einer verzwickten Lage, auch weil die Inflation noch nicht unter Kontrolle sei und weiterhin deutlich über den Zielen der Notenbanken liege.

Zumindest dürften die Zinserhöhungen erste Erfolge zeigen und sich die Teuerungsraten abschwächen, allerdings nicht so stark wie gehofft. Weltweit rechnet der IWF dieses Jahr mit einer Inflation von 7,0 Prozent, 2024 dürften es dann 4,9 Prozent werden. In den Industriestaaten werden 4,7 und 2,6 Prozent erwartet. Damit würden die Werte sich zumindest wieder den Notenbankzielen von oft zwei Prozent annähern. Allerdings habe die Kerninflation, die Energie und Lebensmittel ausklammert, in vielen Ländern ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Trotz oft sehr robuster Arbeitsmärkte drohe tendenziell keine Lohn-Preis-Spirale. Denn die Lohnsteigerungen seien zuletzt hinter den Preissteigerungen zurückgeblieben.