Seit einem Monat arbeitet die Wirtschaftsdelegierte in der Ukraine, Gabriele Haselsberger, wieder in Kiew. "Man gewöhnt sich an das Sicherheitsrisiko", sagt sie. Beim Heulen der Sirenen wurde die Flucht in die Kellerräume zum Automatismus, "ein gewisser Gewöhnungseffekt tritt ein".

Zu tun gebe es genug: Außenhandel und Geschäftstätigkeiten heimischer Unternehmen seien zu Kriegsbeginn eingebrochen, doch rasch wieder angelaufen. Die ukrainische Wirtschaftsleistung sank um 30 Prozent, die Exporte gingen in den ersten zehn Monaten 2022 um 20 Prozent zurück. Heimische Betriebe sind mit rund 200 Niederlassungen vertreten – vor allem in der West- und Zentralukraine. Das Vertrauen in den Wirtschafts- und Finanzsektor kehrte rasch wieder zurück, so Haselsberger: "Ukrainer haben Unglaubliches geleistet, um Vertrauen wiederherzustellen, sie kämpften um jeden Vertrag."

"Der Schock saß tief"

Der Schock saß nach der Invasion der Russen tief, erinnert sich Josef Graf, General Manager von Porsche Ukraine. "Wochenlang herrschte Stillstand." In den ersten Kriegswochen sei auch er "sehr emotional gewesen, es hat etwas Zeit gebraucht, bis wir wieder zur Rationalität gefunden haben." Schon bald wurden die Geschäfte wieder aufgenommen, "unter anderen Vorzeichen": Im Fokus stünden die Minimierung des Risikos für Mitarbeiter und Partner.

"Nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen"

260 Mitarbeiter zählt die Porsche-Gruppe Ukraine, neben dem Import (Großhandel) gehörten ein Autohaus und Finanzierung zur Tochter der Porsche-Holding. "Selbst in der schwierigsten Phase haben wir kein Personal abgebaut und Gehälter kräftig erhöht", sagt Graf. 13 Mitarbeiter kämpften an der Front, diese würden unterstützt. Auch wenn das Geschäftsjahr kaum planbar sei, habe man ein Krisenbudget erstellt, als Orientierungshilfe. "Solange gekämpft wird, sind die Erwartungen niedrig", sagt Graf. "Und Unwägbarkeiten groß. Man muss situativ reagieren." Der Neuwagenmarkt in der Ukraine ist um rund zwei Drittel eingebrochen, Reparaturen und Service um ein Drittel. Selbst Autofinanzierungen fänden weiter statt. Graf, der 14 Jahre in der Ukraine lebte, steuert das Geschäft von Salzburg aus.

"In die Ukraine fahre ich nur unter strengen Sicherheitsauflagen." Zu 95 Prozent funktioniere das Händler- und Servicenetzwerk von Porsche Ukraine, manche Standorte in Frontnähe wurden geschlossen, andere stark eingeschränkt.

"Europa hat endlich begriffen"

Thomas Brunner betreibt in der Zentralukraine Ackerbau auf 1200 Hektar und züchtet 4500 Schweine. Die Preise seien wegen der Exportbeschränkungen gesunken, der teure Dünger werde nur reduziert verwendet, für Siloanlagen fehle oft Gas. Von Gefechten und Minen bleibt sein Agrarbetrieb, 250 Kilometer von der Front entfernt, verschont. "Der reine Ackerbau ist unter Druck geraten." Er hofft auf die Wiederaufnahme des Exports und steigende Preise. Dafür laufe die Schweinezucht sehr gut. Brunner betont, dass sich die Ukraine seit 2014 im Krieg befindet. "Europa hat nun begriffen, was die Ukraine ist – und was die Russen sind."

Das menschliche Leid ist unermesslich, der materielle Schaden nicht: Er wird auf 127 Milliarden Euro geschätzt, der Wiederaufbau wird laut EU-Kommission und Weltbank mit mindestens 349 Milliarden US-Dollar bemessen. Für 2023 beträgt der von der Ukraine angeforderte Betrag über 15 Milliarden Euro. Eine Wiederaufbaumesse soll nun Firmen den Zugang erleichtern. Österreicher brächten Expertise mit: vom Bausektor über Maschinen bis zum Abwassermanagement.

"Bewunderung der Moral"

Haselsberger bewundert die Moral der Ukrainer. Ein Beispiel: Um trotz Stromausfällen offen zu halten, böten Restaurants ein alternatives Menü. Kälte und Dunkelheit drückten die Stimmung, doch der Durchhaltewille sei ungebrochen. Der Blick geht nach vorne: "Wir sind im engen Austausch mit Ministerien in Kiew – Richtung grüne Technologie und Stadtplanung werden große Projekte vorbereitet." Um keine Zeit zu verlieren, fahre man zweigleisig: "Wiederaufbau der Infrastruktur jetzt – und Planung für die Zeit nach dem Krieg."