Der deutsche Online-Marketing-Stratege Matthius Hanna analysiert seit Kriegsbeginn in der Ukraine die Reden des russischen Präsidenten Wladimir Putin und erkennt darin "erschreckenderweise viele Parallelen zu Marketing- und Vertriebstechniken". Obwohl in der Ukraine derzeit Tag für Tag hunderte Menschen ums Leben kommen und Putin möglicherweise sogar ein Kriegsverbrecher-Prozess droht, gelingt es dem Kreml-Chef, sich in Russland selbst und den Krieg ganz anders zu präsentieren. "Wie Putin das Produkt, also sich und seine Argumente verkauft, ist im negativen Sinne geradezu vorbildhaft. Er ist ein Allrounder", sagt Hanna.

Zunächst arbeitet Putin laut Hanna mit Emotionen bis hin zum Schmerz "analog zu einem Versicherer, der Unfall- oder Berufsunfähigkeitsversicherungen verkauft". Den brutalen Angriffskrieg, mit dem Putin derzeit die Ukraine überzieht, gibt er seinen eigenen Bürgern gegenüber als "Befreiung" der Ukraine und als Akt der Selbstverteidigung Russlands aus - obwohl die Ukraine Russland nicht angegriffen hat. Der Kundenzuruf da wie dort: Wenn du nicht handelst, dann wird es dir nicht gut gehen. Also: Verteidige und schütze dich. Emotionen sind im Marketing essentiell. Wir sind alle emotionale Wesen."

Matthius Hanna ist Online-Marketing-Experte. Er beschäftigt 50 Mitarbeiter und berät Unternehmen dabei, mit  Marketingkonzepten erfolgreich Kaufinteressenten zu überzeugen.
Matthius Hanna ist Online-Marketing-Experte. Er beschäftigt 50 Mitarbeiter und berät Unternehmen dabei, mit Marketingkonzepten erfolgreich Kaufinteressenten zu überzeugen. © Privat

Dass Putin an die Werte der russischen Bevölkerung appelliert, sei ein geschickter Schachzug. "Er gibt sich als väterlicher älterer Herr, der Zuversicht und Vertrauen ausdrückt", so Hanna.

"Jetzt und nicht irgendwann"

Call to Action (also: Aufforderung zur Tat) ist ein weit verbreiteter  Marketingbegriff, der eine sofortige Reaktion bewirken, einen sofortigen Verkauf fördern soll. Auch Eigenvermarkter Putin versteht es, den Dringlichkeitsbedarf zu wecken, indem er zuspitzt - militärisch setzt er seit Wochen auf Eskalation; doch auch sein öffentliches Auftreten folgt diesem Prinzip. "Putin sagt: Wir müssen jetzt etwas tun, wir müssen handeln, wir haben keine andere Wahl'. Es ist wie bei einer Werbung für ein Medikament, wo es heißt: Kauf das und das, sonst wirst du deine Rückenschmerzen eben behalten."

Wäre Putin selbst eine Marke, so wäre er laut Hanna eine Zigarettenmarke. "Wie bei der Werbung für eine Alkohol- oder Zigarettenmarke schafft es Putin, dass Menschen sich cool fühlen, obwohl sie etwas Schlechtes unterstützen. Das macht er über das Dazugehörigkeitsgefühl, das er in der Bevölkerung evoziert. Und dazugehören, das will jeder."

Einen gewissen Opferstatus eigne sich Putin laut Hanna mit Hilfe von Scheinargumenten an. Dadurch generiert er das Bild "Wir gegen den Rest der Welt".