Der 13. März 2020 hat sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Die Corona-Pandemie hatte endgültig auch Österreich erreicht, der erste Lockdown stand kurz bevor, an Bankomaten bildeten sich Schlangen und in Supermärkten wurden Konserven und Klopapier knapp. Gernot Tändler, damals für einen renommierten Logistikkonzern tätig, sitzt an diesem Tag am Frankfurter Flughafen. Gerade von einer großen Branchenmesse in der US-Metropole Atlanta zurückgekehrt, wartet er auf seinen Anschlussflug nach Graz. Dass er sich schon mit dem Coronavirus infiziert hat, weiß er zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch die Hektik und Unberechnbarkeit dieser Tage stimmen ihn nachdenklich. Über Jahre ist in ihm bereits die Idee herangereift, beruflich etwas ganz Neues in Angriff zu nehmen. An diesem Tag in Frankfurt ist nach „jahrelangem Kopfkarussell, herumfeilen und überlegen“ eine Vorentscheidung in Richtung Selbstständigkeit gefallen. Gemeinsam mit seiner Frau Michaela sei er zum Entschluss gekommen: „Jetzt Unternehmer werden – oder nie mehr.“Gemeinsam mit Thomas Ambros gründen sie „paradieschen.at“, einen ausgeklügelten digitalen Marktplatz für regionale Anbieter und ihre Produkte. Die Frage, „wie und was wir konsumieren und wie wir möglichst nachhaltig, umwelt- und sozial verträglich leben können, hat uns lange beschäftigt und daher unser eigenes kleines Paradies in Form dieses Marktplatzes erschaffen“, sagt Tändler. Dieser gewährleiste, dass Konsumenten Produkte finden, „die bei uns hergestellt oder produziert wurden, oder zumindest von einem regionalen Händler vertrieben werden“. Er wollte „seinem Herzen folgen und das auch meinen zwei Kindern vorleben“, so Tändler. Bereut habe er seinen Schritt in die Selbstständigkeit nicht. Die Plattform ist vor fünf Monaten online gegangen, „wir haben auch schon erste Franchise-Partner, weitere folgen“.

 Bernd Hold
Bernd Hold © (c) PAUL-HAMM

Auch Bernd Hold hat sich von der bisweilen unwirtlichen gesamtwirtschaftlichen Kulisse nicht von seinem Weg ins Unternehmertum abschrecken lassen. Er hat heuer mit der „Personico GmbH“ eine Personaldienstleistungsfirma mit Sitz in Wildon gegründet. Hold blickt auf eine achtjährige Branchenerfahrung zurück, war zuletzt auch Niederlassungsleiter, „ich habe da schon sehr selbstständig gearbeitet, das Handwerk von der Pike auf gelernt und letztlich die Grundsatzentscheidung getroffen, selbst etwas zu versuchen“. Im Jahr 2020 – inmitten der zwischenzeitlich größten Arbeitsmarktkrise seit Jahrzehnten, habe er bewusst noch abgewartet, „heuer geht es wieder bergauf, ich habe hier viel Potenzial gesehen, der Zeitpunkt für die Gründung war für mich absolut richtig“. Hold sieht sein Unternehmen als wendigen Nischenplayer, der sich u. a. auf Entwickler im Automotive-Bereich spezialisiert hat und gezielt ausgewählte Kunden bedient.

Bernd Hold und das Team von Paradieschen reihen sich in die Riege jener exakt 2479 steirischen Neo-Unternehmer ein, die im ersten Halbjahr registriert wurden. Ein neuer Halbjahresrekord. „Damit haben sich trotz Lockdowns durchschnittlich 15 Steirerinnen und Steirer pro Tag selbstständig gemacht“, betont der steirische Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk. Der Schritt in die Selbstständigkeit „verdient angesichts der herausfordernden Rahmenbedingungen und erschwerter Planbarkeit größte Hochachtung“. Das sei auch ein „positives Zeichen für den gesamten steirischen Wirtschaftsstandort“, so Herk. Michaela Steinwidder, Leiterin des Gründerservice in der Wirtschaftskammer, betont: „Viele haben die Krise als Chance genutzt, um lang gehegte Ideen in die Tat umzusetzen.“