Bei Donald Pols, Chef der Umweltschutzorganisation Milieudefensie, kannte der Jubel keine Grenzen. Am Mittwoch hatten er und andere Kläger den Giganten Shell in die Knie gezwungen, wenigstens in erster Instanz. Wenn auch Shell bald den Gang in die Berufung ankündigte, so verdient das Urteil eines Den Haager Bezirksgerichts das Prädikat „historisch“. Richterin Larissa Alwin verkündete, dass Royal Dutch Shell (Sitz in Den Haag) den CO2-Ausstoß bis 2030 um 45 Prozent senken müsse. Nie zuvor wurde ein Konzern von einem Gericht zu so drastischen Klimaschutzmaßnahmen gezwungen

Das Gericht war eindeutig: Der britisch-niederländische Konzern "muss seinen Beitrag leisten im Kampf gegen gefährlichen Klimawandel". Und die Verpflichtung gelte nicht nur für die eigenen Unternehmen, sondern auch für Zulieferer und Endabnehmer. Shell ist enttäuscht und will Berufung einlegen. Der Konzern tue bereits so viel und investiere Milliarden, sagte ein Sprecher. 

In Österreich nicht möglich

"Das innovative Urteil ist ein Zeichen dafür, dass sich die Gerichte zunehmend ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst werden", sagt Monika Hinteregger, Professorin am Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht der Universität Graz. Wobei die Entscheidung auch durch eine Besonderheit des niederländischen Rechts möglich wird. "Es gibt dort keinen Verfassungsgerichtshof wie bei uns. Außerdem kann das Höchstgericht den Staat auch dazu zwingen, neue Gesetze zu veranlassen."

In Österreich sei das in dieser Form nicht möglich. Zuständig wäre der Verfassungsgerichtshof (VfGH). Der kann aber nur Gesetze aufheben und keine Gesetze veranlassen. Außerdem sei der VfGH bei Klima-Fragen zurückhaltend. Eine Klage zur Kerosinbesteuerung wurde beispielsweise bereits abgelehnt.

Deshalb hat die Jugendbewegung Fridays-for-Future auch den Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewählt. Die Chancen stünden gut, sagt Hinteregger. Gleich wie in dem niederländischen Urteil berufen sich die Aktivisten auf die Artikel 2 und 8 der Europäischen Konvention der Menschenrechte. Diese steht in Österreich im Verfassungsrang. "Hier gibt es eine Schutzverpflichtung des Staates. Konkret sind das der Schutz des Lebens und der Schutz des Privat- und Familienlebens." Das Argument, dass der Staat seiner Schutzpflicht nicht ausreichend nachkomme, sei juristisch durchaus stimmig. Und so viel ist klar: "Ein Urteil des EGMR muss in Österreich umgesetzt werden."

Klage in Österreich droht

Zur Klage von Fridays-for-Future könnte bald eine weitere aus Österreich kommen. Global 2000 will den Ausstieg aus fossilen Energieträgern rechtlich durchsetzen. Am 11. Mai stellte die Umweltschutzorganisation beim österreichischen Wirtschaftsministerium den Antrag auf die Verordnung "Recht auf saubere Energie", die einen schrittweisen Ausstieg aus Öl und Kohle bis 2040 vorsieht. Das Ministerium habe sechs Monate Zeit, zu reagieren. "Wird der Antrag nicht angenommen, werden auch wir klagen", erklärt Johannes Wahlmüller, Klimasprecher von Global 2000, der Kleinen Zeitung. Der nächste Schritt wäre der Gang zum Bundesverwaltungsgericht. Dem Antrag haben sich mehrere Privatpersonen angeschlossen - und auch die steirische Gemeinde Stanz im Mürztal, die in den vergangenen Jahren stark von Hochwasser und Murenabgängen betroffen war.

Immerhin nannte die österreichische Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) das Den Haager Urteil in einer Reaktion am Donnerstag "richtungsweisend". Wie aber nehmen andere Öl-, Gas- und Energiekonzerne wie zum Beispiel die OMV die Gerichtsentscheidung auf?

OMV will nachbessern

Eine offizielle Stellungnahme der OMV zu dem Urteil ist indes nicht zu erwarten. Aber wie schlägt eine solche Nachricht grundsätzlich in dem global ausgerichteten teilstaatlichen Konzern ein? Das Shell-Urteil dürfte sehr wohl eine ganze Kette interner Reaktionen auslösen: Die Rechtsabteilung wird das Original-Urteil im Detail analysieren und eine entsprechende Diskussionsgrundlage für den Vorstand vorbereiten.

Welche Schlüsse der dann in Absprache mit dem Aufsichtsrat daraus ziehen wird, das wird Teil einer Strategiediskussion sein - die in der OMV ohnedies schon länger intensiv im Gang ist. Bereits im Sommer 2020 hatte der Konzern erstmals konkrete Ziele veröffentlicht, wann er wie und wie viel CO2 einsparen will. Es gilt als sicher, dass diese Werte im Rahmen des erwarteten Strategie-Updates, den OMV-Chef Rainer Seele für das zweite Halbjahr angekündigt hat, deutlich nachgeschärft werden.

Seele hatte dem Konzern bereits vor rund zwei Jahren einen starken Schwenk weg von immer höheren Öl- und Gasfördermengen hin zu mehr Petrochemie verordnet. Für globale Kunststoff-Kompetenz hat sich die OMV im Frühjahr 2020 mit der Mehrheitsübernahme der Borealis, die auch das Thema Kreislaufwirtschaft beherrscht, hochgerüstet. Mit Spannung dürfte in der OMV auch beobachtet werden, wie sich Shell zum Urteil positioniert. Denn immerhin wäre es ein leichtes für Shell, seine Konzernzentrale komplett nach London zu verlegen.