Nach Einschätzung des Marktforschungsexperten Andreas Kreutzer kann trotz Ende des Lockdowns heuer noch nicht mit einem Aufschwung im Einzelhandel gerechnet werden. "Aufgeholt wird noch lange nichts," so Kreutzer, der in einer umfangreichen Studie für den Handelsverband darlegt, wie die einzelnen Branchen von der Corona-Krise betroffen sind und wie sich die Umsätze Richtung Online-Handel verschoben haben.

"Dramatische Umverteilung"

Die Pandemie habe zu einer "dramatischen Umverteilung" im Handel geführt, so das Resümeee des Handelsverband-Geschäftsführers Rainer Will. Für ihn stelle sich die Frage, wie man mit den Hunderttausenden Mitarbeitern im stationären Handel durch die nächsten Wochen komme, in denen das Urlaubsgeld zu zahlen sei. Eigene Umfragen des Verbandes legten nahe, dass in den kommenden beiden Jahren 5000 bis 10.000 Shops schließen werden, "weil es sich nicht mehr rentiert," so Will. Mit 40.000 Geschäften sei man in die Krise hineingegangen. Er fordert von der Politik ein Arbeitsplatzsicherungspaket mit Senkungen von Lohnnebenkosten, dem Fall der Mietvertragsgebühren und auch Förderungen, die etwa auch Ungerechtigkeiten bei den Hilfszahlungen der vergangenen Monate ausgleichen sollten. Will: "Ich hoffe auf eine Lernkurve, dass es in Zukunft einen harten Lockdown nur noch in unabwendbaren Fällen gibt." Zudem pocht der Handelsverband seit langem auf eine Reihe von Maßnahmen, damit sich Amazon in Österreich wie heimische Unternehmen etwa an Entsorgungsgebühren beteiligt. 

39 Milliarden Ausgabenverlust

Auf die enorme Summe von 39 Milliarden Euro Ausgabenverlust kommt Kreutzer, weil er nicht nur die Inflation bei allen Berechnungen berücksichtigt, sondern auch das vor der Krise erwartbare Wachstum miteinbezogen hat. "Der einfache Vergleich mit dem Jahr 2019 greift zu kurz, weil wir ja einen ansteigenden Wachstumspfad hatten, der durchbrochen wurde", so der Chef des von ihm gegründeten Unternehmens Branchenradar. Auf das Vorjahr entfallen 14 Milliarden Verlust sowie fünf Milliarden entgangenes Wachstum, für heuer geht Kreutzer davon aus, dass 20 Milliarden Euro weniger ausgegeben werden.

Boom bei Selbstabholung

Die gesamten Haushaltsausgaben brachen der Studie zufolge 2020 inflationsbereichigt um 8,2 Prozent auf 192,5 Milliarden Euro ein. 196,3 Milliarden werden für heuer erwartet, nominal zwar ein Plus von zwei Prozent, inflationsbereinigt aber nur 0,5 Prozent mehr als 2020. Private Dienstleistungen sind davon übrigens besonders betroffen mit minus 15 Prozent im Vorjahr, was Kreutzer zufolge einem Rückgang von 12,3 Milliarden Euro entspricht. Die Freizeitaufwendungen und Urlaubsausgaben halbierten sich mit minus 52 Prozent. In der Gastronomie knickte das Geschäft noch um satte 26 Prozent ein, allerdings "abgefedert durch die Abholmöglichkeiten", sagt Kreutzer. "Im ländlichen Raum gab es sogar einen Boom bei der Selbstabholung beim Wirten ums Eck mit einem Zuwachs von 77 Prozent auf 470 Millionen Euro."

Umsatz verschob sich zum Onlinehandel

67,6 Milliarden Euro der Haushaltsausgaben entfielen 2020 auf den Einzelhandel, das war zwar in Zahlen praktisch gleich hoch wie 2019, aber inflationsbereinigt ein Rückgang von 1,3 Prozent. Neben wenigen Gewinnern hat es viele Verlierer gegeben. Praktisch in allen Sparten verschob sich der Umsatz deutlich zum Onlinehandel auf Kosten des stationären Handels.

8,6 Prozent mehr Umsatz machte der Lebensmitteleinzelhandel, gefolgt von Musik- und Videospielen mit plus 6,2 Prozent und Utensilien für Garten,  Terrasse oder Balkon mit 5,4 Prozent Zuwachs. Um 3,7 und 3,6 Prozent legten Unterhaltungselekronik uns IT sowie Möbel und Einrichtungsgegenstände zu, mit jeweils starken Zuwachsraten in den Onlinekanälen.

Fahrräder als große Ausnahme

Zu den Verlierern gehörte der Sportartikelhandel mit minus 4,6 Prozent - wobei Fahrräder die große Ausnahme waren. Drogeriewaren stiegen mit einem kleinen Plus von 1,5 Prozent aus. Den schlimmsten Umsatzverlust gab es bei Kleidung und Schuhen mit einem Minus von 17 Prozent. Zwar hat die Pandemie die Online-Umsätze bei Bekleidung und Schuhen um sieben Prozent in die Höhe getrieben, dem stationären Handel fehlten dagegen 24 Prozent der Umsätze in der Kasse.

100 Millionen Euro pro Woche zusätzlich

Handelsverband-Geschäftsführer Will hofft nun, dass nach dem Ende des Lockdowns pro Woche rund 100 Millionen Euro Umsatz zusätzlich wettmachen zu können. Grundsätzlich müsse man aber auch damit rechnen, dass viele Menschen ihre verstärkten Online-Einkaufsgewohnheiten niht mehr ablegen dürften. Im Online-Handel baute Amazon seine Stellung auf 64 Prozent Marktanteil aus, so Kreuzter. Der E-Commerce-Anteil am gesamten am Einzelhandelsumsatz liegt inzwischen bei 11,2 Prozent. Online-Shopping wird für immer mehr Produktgruppen zum wichtigen Vertriebskanal.

"Die Hoffnung, dass durch den Shutdown in Österreich das Multi-Channelling angeschoben wird, also die Verbindung stationär und online, das hat sich allerdings als totaler Irrtum erwiesen," sagt Kreutzer. Es sei nicht möglich, einen Onlineshop ohne großen Aufwand betreiben zu können. Er empfiehlt dagegen Maßnahmen zur stärkeren Kundenbindung. Will geht davon aus, das es mittelfristig ganze Produktgruppen nur noch online zu kaufen gibt.