Wie hat sich ihr Job als Chef-Statistiker der Stadt in den letzten Wochen verändert?
KLEMENS HIMPELE: Es geht darum, Daten für Entscheidungen als Diskussionsgrundlagen aufzubereiten. Neu ist die Geschwindigkeit, in der manche Daten verfügbar sein sollen. Bei den ganzen Dashboards braucht man für die Datenkonsolidierung eigentlich im Nachhinein eine gewisse Zeit. Deswegen haben wir Statistiken oft nur zeitverzögert. Aber es hilft mir in der Krise nichts, wenn ich erst nächstes Jahr sagen kann, wie ein Verlauf exakt war. 

Wie gefährlich ist es dann, dass Zahlen falsch interpretiert werden?
Die einzelnen Dashboards widersprechen sich ja zum Teil. Weil eine Datenkonsolidierung nicht immer möglich ist, lädt das dazu ein, irgendwelche Geschichten hineinzuinterpretieren. Man braucht zu Zahlen Hintergrundinformationen und Relationen, um sie zu bewerten. Reine Zahlen sind wenig aussagekräftig. 

Die MA23 hat im sogenannten Mortalitätsmonitor Sterblichkeitsdaten aufbereitet. Sie halten die Übersterblichkeit für die wichtigste Kennzahl der Pandemie. Warum? 
In der Sterbestatistik gibt es mehrere Probleme. Gerade bei Corona wissen wir bis heute nicht, wer mit und wer am Virus gestorben ist. Wer gestorben ist und positiv getestet wurde, zählt ja als Covid-Toter. Ob die Person aber unter Umständen Vorerkrankungen hatte und sowieso gestorben wäre oder nicht, entzieht sich in weiten Teilen unserer Kenntnis. Außerdem können auch Menschen sterben, die nicht getestet werden und trotzdem Covid-positiv sind. Auch wenn Krankenhäuser nicht für andere Personen geöffnet waren oder andere Todesursachen steigen oder sinken, schlägt sich das in den Sterblichkeitsdaten nieder. Tote können wir eindeutig zählen. Die Übersterblichkeit zeigt also, ob wir uns in einem normalen Band bewegen oder nicht. Und in Wien gibt es bis Stand 17. Mai keine Übersterblichkeit. 

Veröffentlicht wurden die Daten zu einem Zeitpunkt, als zwischen Bund und Stadt gerade ein Streit über die Entwicklung der Krankheit in Wien entbrannt ist. War das ein bewusster Beitrag zur Debatte?
Nein. Das hatte schlicht damit zu tun, dass die Daten verfügbar waren und wir sie fertig modelliert hatten. Wir haben uns bei der Methode stark an der Schweiz orientiert, dort wird das schon viel länger gemacht. Wir haben auch das Band, also den Korridor, innerhalb dessen man von keiner Übersterblichkeit sprechen kann, bis Ende des Jahres veröffentlicht. Da tragen wir jetzt Woche für Woche die aktuellen Daten ein. Es kann ja sein, dass es noch zu einer Übersterblichkeit kommt. Dann werden wir das auch kommunizieren. Das ist für mich transparent. Auch für die anderen Bundesländer arbeiten wir an einer Aufbereitung, dafür fehlen uns aber noch Daten. Das wird noch etwa 14 Tage dauern.

Auf dem Statistikblog der Stadt hat Ihre Abteilung auch Daten zu verschiedenen Auswirkungen der Coronakrise zusammengefasst. Welche Entwicklung sticht dabei Ihrer Meinung nach besonders hervor?
Wenn man sich den Ausschlag der Kurve in der Arbeitslosenentwicklung im März und April anschaut, dann ist das brutalst. Im Vergleich zur Finanzkrise zwischen 2008 und 2010 liegen die Zahlen ein Vielfaches darüber. Das ist auch der Punkt, um den es jetzt sehr schnell gehen muss, nämlich dass – sofern es das Virus zulässt – die Menschen wieder in die Arbeit gebracht werden.

© Stadt Wien

Lässt sich prognostizieren, wann sich die Arbeitslosenzahlen wieder erholen werden?
Die Wirtschaftsforschung ist zu Beginn der Krise davon ausgegangen, dass es im Prinzip eine Art Einfrieren und wieder Auftauen der Wirtschaft wird. Man sieht aber jetzt schon, dass das nicht so einfach funktioniert. Das liegt daran, dass es Schwierigkeiten mit dem Ankommen der vom Bund zugesagten Mittel zu geben scheint, was schlichtweg dazu führt, dass viele Insolvenzen drohen. Das zweite Problem ist, dass Menschen, die arbeitslos sind, deutlich weniger Geld zum Ausgeben haben. Der starke Anstieg nach dem starken Absturz wird so nicht kommen. Wir sehen jetzt schon in den Öffnungen in der Gastronomie und des Handels, dass nicht die Zahlen erreicht werden, die wir vor dem Ausbruch der Pandemie hatten. Es wird darum gehen, dass aktiv gesteuert und Dinge schneller zur Verfügung gestellt werden.